100 Termine bis zur Wahl: So kämpft Gewerkschafter Muchitsch für soziale Gerechtigkeit und faire Arbeit

Markt / 08.09.2024 • 14:58 Uhr
Interview Josef Muchitsch
Gewerkschafter Josef Muchitsch im Gespräch mit den VN. vn/Steurer

Der SPÖ-Sozialsprecher und Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Bau-Holz geht davon aus, dass seine Partei bei der Nationalratswahl als auch bei der Landtagswahl zulegt.

von Hanna Reiner und Michael Prock

Schwarzach Josef Muchitsch, SPÖ-Sozialsprecher und Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz, ist im Wahlkampfmodus. Bis zur Nationalratswahl stehen noch 100 Termine in allen Bundesländern an.

Herr Muchitsch, sind Lohnverhandlungen in einem Wahljahr leichter und schwieriger?

Wir haben zwei schlimme Jahre hinter uns. Das waren schon gewaltige Teuerungen, die die Menschen in diesem Land haben verkraften müssen. Umso wichtiger war es auch, dass die Gewerkschaften hart geblieben sind, um zu sagen, die Menschen haben diese Teuerung nicht verursacht, wir wollen einen Ausgleich haben. Ich glaube, da sind alle ziemlich an ihre Grenzen gegangen. Jetzt bin ich persönlich wirklich froh, dass die Inflation sinkt, weil es das Verhandeln leichter macht und weil es das auch für die Wirtschaft verträglicher macht.

Für die Unternehmen war es keine leichte Situation, die hohen KV-Abschlüsse unterzubringen.

Ja, aber ich hätte gern diese Zeit mit Unternehmen gemeinsam aufgebracht, als die Diskussion darüber war, die Energiepreise zu deckeln oder als es darum ging, die Lebensmittelpreise in den Griff zu bekommen, damit die Lohnforderungen nicht in diesem Ausmaß stattfinden, weil dann die Inflation dadurch niedriger geblieben wäre.

Interview Josef Muchitsch
Josef Muchitsch ist ein Mann der klaren Worte. vn/Steurer

Am Bau ist die Lage sehr angespannt. Die Arbeitslosigkeit steigt. Mit welcher Entwicklung rechnen Sie in der Branche?

Wir hatten 2023 eine Rekordbeschäftigung in der Bauwirtschaft. Nun haben wir wieder das Durchschnittsniveau der letzten zehn Jahre. Wir haben in Vorarlberg zum Vorjahr 400 Fachkräfte verloren, österreichweit 10.400. Die große Gefahr ist, wenn jetzt die Bauarbeitslosigkeit weiter steigt, dass wir dann die Fachkräfte nicht mehr haben, die wir brauchen, wenn der Aufschwung kommt. Eine Stabilisierung am Arbeitsmarkt würde dem Fachkräftemangel in der Zukunft also sehr gut entgegenwirken.

Das heißt, Sie befürchten das Gastronomieschicksal nach Corona?

Die Gastronomie hat sehr schnell gehandelt, die Fachkräfte schnell beim AMS abgestellt. Uns ist es gelungen, in der Bauwirtschaft Corona gut zu überwinden, weil wir das Heft selbst in die Hand genommen haben, mit eigenen Maßnahmen und Richtlinien für die Gesundheit. Eine Kontinuität in der Beschäftigung müsste eigentlich das ganz große Ziel sein.

Wie beurteilen Sie die Wohnbaumilliarde?

Immer wenn man für die Bauwirtschaft ein Konjunkturpaket schnürt, muss man wissen, dass es erst Monate und Jahre später ankommt, aufgrund von Genehmigungen, Einsprüchen, Vergaben. Das Paket ist somit ein Jahr zu spät. Insgesamt muss man sagen: In der Theorie wollte die Regierung wirklich helfen, aber in der Praxis ist diese Wohnbaumilliarde nicht umsetzbar gewesen, weil sie an Richtlinien wie etwa die Gemeinnützigkeit geknüpft war, bei denen viele Länder gesagt haben, wir werden das Geld nicht abholen.

ABD0029_20240501 – WIEN – …STERREICH: Josef Muchitsch, Bundesvorsitzender der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter:innen (FSG) am Mittwoch, 1. Mai 2024, im Rahmen des 1. Mai-Aufmarsches der SP…, in Wien. – FOTO: APA/FLORIAN WIESER
Josef Muchitsch im Rahmen des 1. Mai-Aufmarsches der SPÖ in Wien. apa

Und wie stehen Sie zur KIM-Verordnung?

Sie war zum damaligen Zeitpunkt richtig, um die Überhitzung einzufangen. Sie dauert mir nur zu lange. Deutschland hat früher aufgeweicht. Nun fahren die Menschen im Westen Österreichs nach Deutschland und nehmen dort die Kredite auf. Ob das so gescheit ist, das bezweifle ich.

Die SPÖ wirbt im Wahlkampf damit, mit ihr gehe es den Menschen besser. Was verstehen Sie darunter?

Das ist jetzt nicht nur ein Wahlspruch, sondern das ist Realität. Das haben wir in der Vergangenheit immer dann bewiesen, wenn die Sozialdemokratie in Regierungsverantwortung war. Wenn die SPÖ nicht in einer Regierung war, gab es Pensionskürzungen, die 60-Stunden-Woche, den 12-Stunden-Tag oder ein Milliarden-Minus im Gesundheitssystem. Deswegen sind unsere Kernthemen ganz klar: Arbeit muss Wertschätzung erhalten, in der Gesundheitsversorgung muss der Zugang für alle Menschen verbessert, die Pensionen müssen gesichert werden.

Wissen die Wähler, dass es Ihnen besser gehen würde mit der SPÖ? In den Umfragen sieht das nicht danach aus.

Man muss das wieder in Erinnerung bringen, das ist vollkommen richtig. Deswegen sind wir so unterwegs und versuchen, die dreieinhalb Wochen bestens zu nutzen.

Warum wird immer über die Partei an sich diskutiert, aber weniger über die Inhalte?

Es wird in jeder Partei diskutiert. Also ich nehme nicht an, dass die freiheitlichen Arbeitnehmer oder die Christgewerkschafter bei der ÖVP das Wirtschaftsprogramm von ÖVP oder FPÖ positiv empfinden, wenn es nur darum geht, Steuererleichterungen für Großkonzerne und jene, die vermögend sind, zu schaffen. Wir in der SPÖ neigen schon dazu, uns so manches Eigentor zu schießen. Aber vieles wird schon gerne auch hochgeschaukelt.

ABD0059_20240220 – WIEN – …STERREICH: SP…-Sozialsprecher Josef Muchitsch und Bundesvorsitzender Andreas Babler im Rahmen einer PK der SP… m?it dem Titel Sichere Pensionen” am Dienstag, 20. Februar 2024, in Wien. – FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER
Josef Muchitsch und SPÖ-Bundesvorsitzender Andreas Babler. apa

Sind Sie persönlich mit dem SPÖ-Wirtschaftsprogramm jetzt zufrieden?

Ja, weil das, was ich gesagt habe, mittlerweile so akzeptiert ist. Nämlich, dass all diese Verschlechterungen in Verbindung mit Teuerung, Gesundheit, Pflege bereits die Mitte erreicht haben. Das heißt, wenn der Andi Babler jetzt von Verbesserungen spricht, die wir brauchen, dann betrifft es mittlerweile einen überwiegenden Anteil der gesamten Bevölkerung.

Ein Punkt im Programm ist, dass es ein Recht auf einen Arbeitsplatz geben soll nach 12 Monaten Arbeitslosigkeit. Wie soll das funktionieren?

Wir haben dazu schon mal ein Programm gehabt, die Aktion 20.000. Das heißt, da geht es um Menschen, die langzeitarbeitslos sind, die nach 30, 40, 50, 100 Bewerbungen keine Chance mehr haben auf einen Job in der Privatwirtschaft. Im öffentlichen Bereich und den Gemeinden ist die Aktion damals sehr gut angenommen worden, sie ist dann aber von der ÖVP/FPÖ-Regierung leider abgedreht worden.

Lohnt sich Arbeit noch?

Arbeitslos zu sein, zahlt sich nicht aus. Warum? Weil das Arbeitslosengeld in Österreich eine Nettoersatzrate von 55 Prozent ist. Das heißt, das durchschnittliche Arbeitslosengeld bei Frauen liegt bei 33-34 Euro pro Tag. Aber auch nur dann, wenn ich davor 1800 Euro verdient habe. Vor Wahlen werden dann gerne gewisse Sozialhilfe-Beispiele aus der Schublade geholt, um Diskussionen anzuheizen. Was mich stört ist, dass man nicht alles erzählt. In Wien gibt es 120 Familien mit sieben Kindern. Von diesen sind 113 Familien in Jobs. Sieben nicht. Dennoch wird ein gesamtes System diskutiert.

ABD0036_20240826 – WIEN – …STERREICH: ++ THEMENBILD ++ Plakate der SP… zur bevorstehenden Nationalratswahl am Montag, 26. August 2024. Am 29. September wird in …sterreich ein neuer Nationalrat gewŠhlt. – FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER
Die SPÖ wirbt mit sozialer Gerechtigkeit. apa

Abschließend die Frage: Ab wie viel Prozent ist für die SPÖ die Nationalratswahl ein Erfolg?

Wenn wir zulegen. Ich gehe davon aus, dass wir sowohl bei der Nationalratswahl als auch bei der Landtagswahl stärker werden. Und letztendlich liegt es an der Sozialdemokratie selbst, dieses Ergebnis so zu beeinflussen, dass es ein starkes Ergebnis wird.