Der Drang zu helfen

Menschen / 07.04.2022 • 16:58 Uhr
Die vierfache Mutter engagiert sich ehrenamtlich im Ankunftslager in Nenzing.
Die vierfache Mutter engagiert sich ehrenamtlich im Ankunftslager in Nenzing.

Nataliya Neier hilft den Ukrainern vor Ort und im Ankunftszentrum in Nenzing.

Nenzing Kaum tritt Nataliya Neier in die umgebaute Tennishalle, ist sie der Mittelpunkt des Geschehens. Sie trägt die Weste der ORS Gruppe, die im Auftrag des Landes das Ankunftszentrum betreut. Eine der Frauen zeigt stolz eine traditionelle Stickerei, einen vor dem Krieg geretteten Schatz. Ein Senior versichert sich, keinen Termin zu übersehen, während ein Bursch um ihre Aufmerksamkeit ringt. Mit Nataliya haben sie jemanden, der sie nicht nur sprachlich versteht. Denn die Dolmetscherin ist eine von ihnen.

Wurzeln in der Bukowina

Spricht man Nataliya auf ihre Heimat an, kommt sie ins Schwärmen. Das Dorf Schischkiwzi im Oblast Tscherniwzi war vor dem ersten Weltkrieg Teil des Habsburgerreiches. Die Hauptstadt Czernowitz sei wie das alte Wien, mit seinen Villen und Pflastersteinstraßen. „Und unser Dorf liegt inmitten der Weizenfelder, die bis zu den kleinen Hügeln am blauen Horizont reichen“, schwelgt sie. Goldene Felder unterm blauen Himmel, ein Sinnbild der ukrainischen Flagge. Der Zusammenhalt im Dorf war eng, die Jungen kümmerten sich um die alten Kriegswitwen. „Immer wenn wir etwas gebacken haben, haben wir auch den Nachbarn was davon gebracht“, betont die 44-Jährige. Diese gaben ihre Erfahrungen weiter – aber auch Erinnerungen an die Hungersnot in den 30er-Jahre und den Weltkrieg. „Deren Geschichten haben mich sehr geprägt.“

Eigentlich wollte Nataliya ihre Heimat nie verlassen. Doch während ihrer Ausbildung zur Hebamme entstand ein Austauschprogramm zwischen der Universität Czernowitz und der Vorarlberger Landwirtschaftskammer. Zuerst kamen Landwirtschaftsstudenten, dann auch Erntehelfer. Auch Nataliya nutzte wie viele aus ihrem Dorf die Möglichkeit, so Geld zu verdienen. Über die Leichtathletik lernte sie die Krim kennen und lieben, hier wollte sie eine Ferienwohnung kaufen. Stattdessen lernte sie jedoch ihren künftigen Mann kennen.

Im April 2002 heiraten die beiben, seitdem lebt Nataliya hier. Die Verbindung zur Heimat verlor die Mutter von vier Kindern jedoch nie. 2005 bat ihre beste Freundin sie auf dem Totenbett, ob Nataliya nicht zu deren Tochter schauen könne. Daraus entstand weit mehr: Wöchentlich fuhr ein Transporter von Vorarlberg in die Ukraine, vom Spielzeug und den Sachspenden profitiert auch ein Waisenhaus.

Doch dann kam der Krieg. „Ich musste etwas machen“, erklärt Nataliya. Nun sammelt sie für Soldaten und Zivilisten an der Front. Die Unterstützung kam von allen Seiten, sie dankt allen, die halfen, von Freunden bis zu den Schulen in Nenzing, Schruns und Thüringen. „Ich wusste nicht mehr, wohin mit den Spenden.“ Ihre Vertrauensperson vor Ort leitet ein Sozialzentrum und kümmert sich darum, dass alles in die richtigen Hände gelangt.

Sie selbst hilft ehrenamtlich im Ankunftszentrum. Das Wichtige ist der Blick nach vorne, dem Kriegsende entgegen. „Ansonsten rutscht man ins Negative ab.“ VN-RAU

„Ich hole sie dort ab, wo sie sind. Die Gefühle müssen raus, jeder erzählt seine Geschichte.“

Selbst frischgebackene Kuchen gelangen über Nataliya zu den Menschen in der umkämpften Ukraine.

Selbst frischgebackene Kuchen gelangen über Nataliya zu den Menschen in der umkämpften Ukraine.

Diese Ukrainerin nimmt die Lieferungen aus Vorarlberg an der Grenze entgegen und kümmert sich darum, dass nichts in falsche Hände gerät.

Diese Ukrainerin nimmt die Lieferungen aus Vorarlberg an der Grenze entgegen und kümmert sich darum, dass nichts in falsche Hände gerät.

Die Spenden aus Vorarlberg gelangen bis zur Front, hier ist die Versorgung oft besonders herausfordernd.

Die Spenden aus Vorarlberg gelangen bis zur Front, hier ist die Versorgung oft besonders herausfordernd.

Nataliya ist für die Kriegsvertriebenen in Nenzing eine wichtige Ansprech- und Vertrauensperson. VN/Rauch
Nataliya ist für die Kriegsvertriebenen in Nenzing eine wichtige Ansprech- und Vertrauensperson. VN/Rauch

Zur Person

Nataliya Neier

Geboren 30. Mai 1977

Ausbildung Hebamme, Pflegehelferin

Laufbahn Humanenergetikerin

Familie Verheiratet, vier Kinder im Alter von 11 bis 18 Jahre