Ein Höhenflieger mit Prinzipien

Menschen / 15.02.2023 • 17:33 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Am liebsten würde Lilly den ganzen Tag mit ihrem Ehni spielen.
Am liebsten würde Lilly den ganzen Tag mit ihrem Ehni spielen.

Von einem Glücksfall zum andern – so beschreibt Dietmar Lorenzin seine berufliche Entwicklung.

St. Gallenkirch Dietmar Lorenzin (57) wuchs mit seinen drei Geschwistern unbeschwert im hinteren Montafon auf. „Wir brauchten keinen Spielplatz. Die Welt war unser Spielplatz.“ Die Welt – das war damals Gortipohl für ihn. Aber je älter er wurde, desto mehr weitete sich seine Welt aus. Sein älterer Bruder, der als Kellner in der Schweiz arbeitete, machte ihm das Ausland und die Tourismusbranche schmackhaft. „Ich habe dann die Tourismusfachschule besucht.“ Während eines Schulpraktikums wurden die beruflichen Weichen gestellt. „Ein Oberkellner zeigte mir ein Foto von dem Kreuzfahrtschiff, auf dem er gearbeitet hat. Mir war sofort klar, dass ich das auch machen wollte. Ich habe mich dann bei einer Reederei beworben.“ Die Zusage kam, aber Jahre später.

Vom Montafon ins Hilton

Nach der Schule fand der weltoffene junge Mann eine Anstellung als Kellner im Hotel Hilton in Düsseldorf. „Vom Montafon ins Hilton, das war schon cool. Der Job gefiel mir, ich blieb eineinhalb Jahre. Als ich ging, bekam ich ein Zeugnis. Mit diesem öffnete sich für mich die Tür zur Welt.“ Zunächst absolvierte Dietmar aber seinen Zivildienst in einem bäuerlichen Betrieb. Er wollte nicht zum Bundesheer und zu Waffen greifen. Ein markanter Satz von Erich Hartmann, welcher mit 352 bestätigten Abschüssen der erfolgreichste Jagdflieger in der Geschichte des Luftkrieges war, bringt Dietmars Gesinnung auf den Punkt: „Krieg ist ein Ort, an dem junge Männer, die sich nicht kennen und sich nicht hassen, gegenseitig töten, durch die Entscheidungen alter Menschen, die sich kennen und sich hassen, aber nicht gegenseitig töten.“

Nach dem Zivildienst rief die große weite Welt. Der Montafoner trat auf dem norwegischen Kreuzfahrtschiff Vistafjord seinen Dienst an. „Der Job war ein Traum, ich war Teil der Mannschaft und lernte viele Länder und Sehenswürdigkeiten kennen.“ Später wechselte er zum Schwesternschiff Sagafjord. „Die hat Weltreisen gemacht.“ Dietmar war auf jedem Kontinent und in allen Ländern der Welt, wo man mit dem Schiff hinkommt. So abenteuerreich seine Engagements waren, er wusste, dass er nicht ein Leben lang auf dem Schiff bleiben wollte. Deshalb bildete er sich weiter. Er machte eine Sommelier-Ausbildung und absolvierte in Bayern die Hotelfachschule. Danach heuerte er ein letztes Mal auf einem Schiff an. Dieses Engagement war schicksalhaft. Denn: „Auf der Asuka lernte ich Christa kennen, meine jetzige Frau.“

Das Paar zog 1994 ins Montafon und gründete eine Familie. Auch beruflich hielt das Glück an. Dietmar wurde Geschäftsführer des Bergrestaurants „Schafberghüsli“ in Gargellen. Als solcher führte er 30 Mitarbeiter und gestaltete die Gaststätte mit seinem Team von einem SB- zu einem Bedienungsrestaurant um. „Der Job gefiel mir total.“ Aber ein katastrophales Ereignis trübte seine Stimmung lange. Am 22. Februar 1999 begrub eine Lawine das Schafberghüsli unter sich. Dietmar und einige der Bediensteten waren im Restaurant, als die Lawine das Gebäude erfasste. „Es machte einen furchtbaren Knall. Und dann ist es dunkel geworden.“ Der Restaurantleiter überlebte, aber zwei seiner Mitarbeiter starben. „Mir hat diese Katastrophe die Endlichkeit vor Augen geführt.“ Dietmar wurde dankbarer. „Du nützt die Zeit sehr viel bewusster und bist froh, dass du noch Lebenszeit bekommen hast.“

Der berufliche Höhenflug ging weiter. Dem Gastronomen wurde im Jahre 2004 die Geschäftsführung der Bergbahnen Gargellen übertragen. „Ich dachte mir: ,So eine Chance bekommst du nie mehr.‘“ Er bereute seine Zusage nicht. Denn: „Der Job war total schön. Ich hatte ein tolles Team.“ Mit ihm setzte er Projekte um wie das Kinderland oder den Skiverleih. Nach einigen Jahren fühlte er sich aber nicht mehr am richtigen Platz. 2010 stellte ihn das Leben in das Schwesternheim Maria Hilf in St. Gallenkirch. „Die Franziskaner-Missionsschwestern suchten einen Hausmeister. Ich bin dann schnell in die Betriebsleitung hineingewachsen.“ Als solcher positionierte er das Haus, das mehr als 50 Gäste beherbergen kann, neu in Richtung Begegnungsstätte und Seminarort. „Wir sind ein Refugium in den Bergen, in welchem jeder sein kann, wie er ist.“

Vieles fühlt sich nach Untergang an

Die Resilienztage, die im Juni und Juli stattfinden, tragen Dietmars Handschrift. Er hat das Projekt mit ausgearbeitet. Das Thema Resilienz sprach ihn an und ist seiner Meinung nach aktueller denn je in einer Zeit, von der manche sagen, dass sie die krisenhafteste aller Zeiten ist: Pandemie-Nachwehen, Krieg, Klima, Polarisierung. Vieles fühlt sich nach Untergang an. Auch Dietmar, der dreifacher Vater und Großvater ist, macht sich Sorgen um die Zukunft, „aber die Angstmache, die einem täglich begegnet, ist nicht konstruktiv und spaltet die Gesellschaft”. Dietmar selbst sieht sich als Brückenbauer und die ­Menschen als ganzheitliche Wesen. Es sei schon gut, ein paar Kilo Mehl, ein paar Batterien und Toilettenpapier einzulagern. „Doch sollten wir nicht darauf vergessen, uns auch körperlich, geistig und vor allem seelisch auf Krisen vorzubereiten.“ VN-kum

„Die Angstmache, die einem täglich begegnet, ist nicht konstruktiv und spaltet die Gesellschaft.“

Da fuhr er noch zur See. Dietmar Lorenzin (rechts unten) mit Crewmitgliedern auf den Bermudas.
Da fuhr er noch zur See. Dietmar Lorenzin (rechts unten) mit Crewmitgliedern auf den Bermudas.
Dietmar Lorenzin mit den Klosterschwestern Elisabeth, Andrea, Maria, Brunhilde und Rosa. Andreas Künk
Dietmar Lorenzin mit den Klosterschwestern Elisabeth, Andrea, Maria, Brunhilde und Rosa. Andreas Künk

Zur Person

Dietmar Lorenzin

Geboren 18. Februar 1965 in Schruns

Wohnort St. Gallenkirch

Familie verheiratet, drei Kinder, eine Enkelin

Hobbys Schindeldächer decken, Hildegard-Bingen-Bücher lesen, Blaubeeren pflücken, Ziegenkitzen beim Spielen zusehen, Resilienz-Kurse geben

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