Von der Sterbebegleiterin zur Leihoma

Menschen / 11.10.2023 • 18:31 Uhr
Die Leihoma hat viel Spaß mit ihren Schützlingen Sophia und Julian. Stiplovsek
Die Leihoma hat viel Spaß mit ihren Schützlingen Sophia und Julian. Stiplovsek

Susanne Jägel engagiert sich seit ihrer Jugend für andere Menschen. Derzeit ist sie mit Leib und Seele Leihoma.

Höchst Mit 22 Jahren wurde Susanne Jägel (64) zum ersten Mal Mama. Die frischgebackene Mutter, die gerade ihr Studium (Latein und Geschichte) abgeschlossen hatte, fühlte sich, als ob man sie ins kalte Wasser geworfen hätte. „Ich wusste nicht einmal, wie man Windeln wechselt. Meine Schwägerin zeigte es mir.“

Susanne war als Mutter richtig gefordert. „Aber durch meine Jugend habe ich es bewältigt.“ Vier Jahre später bekam sie abermals ein Kind. Auch dieses wuchs im Schoße der Familie Jägel auf.

Würdevolles Sterben im Hospiz

Susannes Mutter passte auf Barbara und Karl-Wilhelm auf, wenn die junge Mutter am Arbeiten war. „Vormittags half ich im elterlichen Baugeschäft mit, nachmittags gab ich Schülern Nachhilfe in Latein und Französisch.“

Eine Zeitlang arbeitete Susanne auch als Pflegehelferin in einem Altersheim. „Auf der Demenzstation fühlte ich mich wohl. Als man mich aber auf eine andere Station versetzte, kündigte ich, weil es mir wehtat zu sehen, wie wenig Zeit man dort für die alten Menschen hatte.“ Danach absolvierte sie ein Praktikum in einem Hospiz. „Dort nahm man sich Zeit für die Sterbenden. Es war würdevoll und schön dort.“ Die todgeweihten Menschen berührten ihr Herz. „Mir fiel auf, dass Menschen, die gläubig sind, leichter aus dem Leben gehen als Atheisten.“

Unkonventionelle Mutter

Später waren es die obdachlosen Menschen, die sie anrührten. „Manche sind vom Leben so gebeutelt worden, dass es mich nicht wunderte, dass sie auf der Straße gelandet sind.“ Susanne engagierte sich ehrenamtlich für die Outsider der Gesellschaft. Sie verteilte Essen an sie. „Ein Bedürftiger lebte bei uns zu Hause. Stefan übernachtete im Schuppen und aß bei uns mit.“ Susannes Vater war sehr sozial. „Von ihm habe ich die soziale Ader.“

Als Mutter war Susanne unkonventionell. Mit über 50 besuchte sie zusammen mit ihrem Sohn eine Disco. „Mit ,Das ist meine Mutter‘ stellte er mich ganz stolz seinen Freunden vor“, erzählt sie lächelnd und fügt dann noch hinzu: „Der Discjockey begrüßte mich immer mit ,Bonsoir Maman Jägel‘“.

„Bin immer für dich da“

Susanne ist immer gerne Mutter gewesen. „Das Schöne am Muttersein ist die Liebe, die man für die Kinder empfindet und die man von ihnen zurückbekommt.“ Heuer am Muttertag erhielt Susanne von ihrem Sohn eine SMS: „Ich bin so froh und stolz, dich als Mutter zu haben. Ich wüsste nicht, wo ich ohne dich wäre.“ Susanne schrieb zurück: „Karl, du weißt, dass ich immer für dich da bin. In unendlicher Liebe, deine Mama.“

Das Jahr 2011 war für Susanne ein schicksalhaftes. „Ich lernte in Lindau Erich aus Lustenau kennen, er ist mein Fels in der Brandung.“ 2014 zog sie zu ihm. „Aber meine Bedingung war, dass ich mich in Vorarlberg sozial betätigen kann. Daraufhin setzte Erich alle Hebel in Bewegung, damit ich eine Stelle als Mohi-Helferin bekomme.“

Herzergreifend nachgewunken

Es blieb nicht bei diesem Engagement. Denn als sich die Deutsche auf der Gemeinde vorstellte, stach ihr ein Plakat ins Auge. „Auf diesem hieß es: ,Beschäftigen Sie sich gerne mit Kindern? Dann werden Sie Leihoma‘“. Susanne, die als Nachhilfelehrerin laufend in Kontakt mit Kindern stand, fühlte sich sofort angesprochen. „Innerhalb einer Woche habe ich zwei Familien gehabt.“ Seither ist die 64-jährige Wahlhöchsterin Leihoma mit Leib und Seele. Es freut sie, wenn sie die Kinder von klein auf begleiten kann. „Kinder sind anstrengend, keine Frage. Aber das macht nichts. Denn sie geben einem so viel, das kann man gar nicht beschreiben.“

Letzthin winkten ihr ihre Schützlinge Sophia (7) und Julian (5) herzergreifend nach, als sie ging. Das sind Momente, die ihr Herz berühren. VN-kum

„Kinder sind anstrengend. Aber sie geben einem so viel. Das kann man nicht beschreiben.“

Susanne Jägel findet Kinder herrlich. „Sie geben einem so viel.“ Hofmeister
Susanne Jägel findet Kinder herrlich. „Sie geben einem so viel.“ Hofmeister
Susanne Jägel mit ihrer Tochter Barbara. 
Susanne Jägel mit ihrer Tochter Barbara. 
Maren, das erste Kind, das die Leihoma aus Deutschland betreute.
Maren, das erste Kind, das die Leihoma aus Deutschland betreute.

Zur Person

Susanne Jägel
wuchs in Rastatt (Deutschland) auf. 2014 kam sie der Liebe wegen nach Vorarlberg. Seither engagiert sie sich als Leihoma.

Geboren 7. Juli 1959

Wohnort Höchst

Familie zwei Kinder, in Partnerschaft mit Erich

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