Ein Lebensweg mit harten Prüfungen

Den Tod seines Sohnes hat Joe Kleber akzeptiert, doch die emotionalen Wunden sind noch nicht verheilt.
LINGENAU Er schweigt. Schließt die Augen. Bemüht sich, seine Gefühlsregung zu verbergen. Über seinen Sohn Mario zu sprechen, stimmt Joe Kleber tieftraurig. Mario starb 2003. Er ist nur 27 Jahre alt geworden.
Der Verlust seines einzigen Kindes zählt zu den harten Prüfungen, die das bisherige Leben des 71-jährigen Pensionisten geprägt haben. Die erste hat er als Volksschüler durchgestanden.
Mario hat gewusst, dass er seinen 28. Geburtstag nicht mehr erleben wird.
Joe Kleber kommt am 23. November 1952 zu Welt, wächst mit Mutter, Stiefvater und vier Halbgeschwistern in Andelsbuch auf. „Ich war acht oder neun Jahre alt“, genau weiß er es nicht mehr, „als ich an einem Lungenleiden erkrankte. Ich war über ein Jahr in einer Lungenheilanstalt.“ Dort durchlebt er die Hölle. „An mir wurden Medikamente getestet.“ Jeden Tag seien ihm Injektionen verabreicht worden, auch eine Unmenge von Tabletten habe er geschluckt. „Mir ging es sehr schlecht.“ Irgendwann hält er es nicht mehr aus. Er will nach Hause. Das wird ihm verwehrt. Und die Tortur geht weiter. An dem Kind wird eine Luftenzephalographie durchgeführt. Bei dieser umstrittenen, schmerzhaften Untersuchungsmethode zur Feststellung von Gehirnschäden im Röntgenbild wird mittels Punktion Hirnwasser aus dem Rückenmarkskanal abgesogen und gleichviel Luft eingeleitet. Seitdem leidet Joe an chronischen Kopfschmerzen. Kurze Zeit später darf er die Klinik verlassen. Endlich.

Düster und bigott
Mit zwölf Jahren wird er von seinem Zuhause weggeschickt. Ein älteres Ehepaar holt ihn ab und nimmt ihn nach Krumbach auf deren Bauernhof mit. „Ich wurde als Arbeitskraft benutzt. Und meine Familie hatte einen Esser weniger“, erklärt Joe. „Das Haus war düster. Es gab kein elektrisches Licht. Auch die Hofbesitzer waren düster. Und bigott. Sie haben nie mit mir geredet. Sie teilten mir bloß die Arbeit zu.”
Lange hält es Joe dort nicht aus. Er läuft davon. Kehrt zu seiner Familie zurück. Von nun an sorgt die im gleichen Haus lebende Großmutter dafür, dass ihr Enkel nie mehr weggeschickt wird.
Mit 15 beginnt Joe eine kaufmännische Lehre in einem Lebensmittelbetrieb in Bezau. Er ist im zweiten Lehrjahr, als es passiert. An seinem 17. Geburtstag dreht er eine Runde mit seinem Moped. Auf dem Sozius sitzt sein 15-jähriger Freund Kurt. „Ein Auto überholte uns, legte eine Vollbremsung ein, um zwei Fußgängern auszuweichen. Dafür erwischte es mein Moped“, schildert Joe den Unfallhergang. „Kurt und ich wurden über das Auto geschleudert und landeten auf dem Asphalt.“ Beide ziehen sich schwere Verletzungen zu und liegen mehr als einen Monat zusammen im Krankenhaus. „Der Unfall hat Kurt und mich noch mehr zusammengeschweißt“, resümiert Joe.

Nach der Lehre führt ihn seine berufliche Reise zunächst in ein Kaufhaus und setzt sich ein Jahr später in einer Leuchten-Fabrik fort. 1973 leistet er den Militärdienst ab. Anschließend arbeitet er im Büro einer Textilfirma. 1984 macht er sich mit einem Autoaufbereitungsunternehmen selbstständig. Am 8. 8. 1988 gründet er in Dornbirn die Firma „Autoglas Kleber Joe“. Seit zehn Jahren ist er Pensionist. Seitdem genießt er mit Ehefrau Lioba ein ruhiges Leben in seinem Haus in Lingenau. Mit Lioba, die ihm in allen Lebenslagen zur Seite steht, ist Joe seit 1974 verheiratet.

Als schönstes Ereignis in seinem Leben bezeichnet Joe die Geburt seines Sohnes am 14. Juli 1975. Das schlimmste war sein Tod: „Mario war schwer krank. Er hat gewusst, dass er seinen 28. Geburtstag nicht mehr erleben wird“, sagt Joe mit bewegter Stimme. „Er starb am 30. Juni 2003 in der Uniklinik Innsbruck. Es war ein unsagbar trauriger Moment.“
Marios Bild
Ein Weg, mit einem schweren Schicksal umzugehen, ist, sich abzulenken. Joe, ein passionierter Biker, findet Ablenkung beim Streetfighter-Sport. Fünf Jahre lang nimmt er an Motorradrennen in europäischen Ländern teil. Dann hört er auf. Der Grund: „Ich war bei einem Rennen in Spanien. Nachdem ich die Trainingsrunden absolviert hatte, ging ich in meinen Wohnwagen. Als ich, wie immer vor dem Start, Marios Bild anschaute, fiel es auf einmal um.“ Das erschreckt ihn dermaßen, dass er sich nicht richtig auf das Rennen konzentrieren kann. Er fällt 23 Plätze zurück. „Das war das Zeichen, jetzt ist Schluss.“ Das Motorradfahren hat er jedoch nicht aufgegeben. In der warmen Saison ist Joe Kleber so oft es geht mit seiner Indian FTR – „eine seltene Maschine“ – unterwegs.
Ob er sich etwas wünscht? „Ja. Dass eine andere, menschlichere Politik betrieben wird. Weltweit. Und dass mehr, viel mehr Menschen für den Frieden auf die Straße gehen.“
