„Es kann jederzeit wieder passieren“

Irmgard Kramer begegnet auf ihrer persönlichen Reise in die Nazizeit ihrer Oma Hilde.
Wien, Dornbirn Es war wieder einmal Lockdown, und Irmgard Kramer saß in ihrer Wiener Wohnung. Da kam das Klingeln des Handys gerade recht.

Am anderen Ende das Stadtmuseum Dornbirn mit der Frage, ob sie ein Buch über die Opfer des Nationalsozialismus in ihrer Heimatstadt Dornbirn schreiben wolle. „Ich erbat mir Bedenkzeit“, erinnert sich die 54-Jährige. Sie spürte die Angst vor dem, was ihr auf dieser Zeitreise begegnen könnte, und davor, dass das lieb gewonnene Bild ihrer Heimatstadt zerstört werde. Schon kurze Zeit später überwiegte jedoch die Neugier. „Ich wollte wissen, wie es im nationalsozialistischen Dornbirn war“, erzählt sie und bekennt eine gewisse Gutgläubigkeit: „In Dornbirn war das sicher nicht so schlimm. Ganz sicher nicht. Wir sind nicht so.“ Keine 60 Minuten später sagte die Wahlwienerin zu.

Oma Hilde
Wenige Tage später brachte der Paketbote einen Karton mit Zeitzeugeninterviews, Recherchen und Fotos. Petra Zudrell und Barbara Motter vom Stadtmuseum leisteten viel Vorarbeit. Mit einem unbeschwerten „Wir Kramers hatten damit eh nichts zu tun“ beginnt die Autorin die Recherche. Und dann passierten sie doch: diese Ja-aber-Moment-mal-Erlebnisse. „Bei jedem Kapitel begegnete ich meiner Großmutter Hilda Kramer.“ Da habe es beispielsweise eine Widerstandsgruppe gegeben, mit der man extrem hart umgegangen sei. „Einer wohnte in unmittelbarer Nähe meiner Oma, die müssen sich gekannt haben“, ist sie überzeugt. Nicht zu vergessen, die Vergrößerung des Rathauses durch die Nazis. Geplant von Architekt Hugo Wank. „Für meine Großeltern Hilda und Josef Kramer hat er den Rundbau über der Tischlerei an der Ecke Eisengasse/Frühlingstraße fertiggestellt und zog auch gleich ins Eckzimmer ein.“


Aufmärsche im Spiegel
Von ihren Großeltern wiederum kannte Kramer die Geschichte, dass Opa im Spital einen Spiegel an die Decke gehängt hatte. Das war 1938, als ihr Vater geboren wurde. Es war die Zeit der Aufmärsche in Dornbirn. Über den Spiegel konnte Oma Hilda diese beobachten. „Das habe ich nicht erwartet, das hat mich überwältigt“, gesteht die Dornbirnerin. Sie musste erkennen, dass ihre Oma nicht die Person war, für die sie sie gehalten hatte. Oma Hilde war Mitglied bei der NSDAP und Blockleiterin.

Der Autorin wird dabei vor allem eines klar: „Wir müssen um unsere Demokratie kämpfen und wachsam sein.“ Denn: „So etwas kann jederzeit und immer wieder passieren.“ Ihre Familiengeschichte betreffend hat Kramer Frieden geschlossen. „Ich bin meiner Familie wahnsinnig dankbar, dass es keine Spannungen gab und niemand etwas dagegen hatte, dass ich darüber schreibe. Auch mein Vater, der schon eine Familienchronik verfasste, unterstützte mich sehr und gab mir bereitwillig Antwort auf meine vielen Fragen.“ Kramer macht eine kurze Pause, bevor sie fortsetzt: „Es ist gut, genau hinzuschauen, unausgesprochene Geheimnisse vergiften die Familie.“

Zweite Auflage
Als im November Band eins in der Reihe „Erbschaft einer Stadt“ erschien, war das Buch binnen kürzester Zeit vergriffen. Mitte Februar wird deshalb eine zweite überarbeitete Auflage im Falter-Verlag erscheinen. Zudem wird es am 22. April um 18.30 Uhr eine Lesung von Irmgard Kramer in Wien geben. Diese findet auf Initiative des Vereins VorarlbergerInnen in Wien im Alten Rathaus statt. CRO
Zur Person
Irmgard Kramer
Alter 57
Wohnort Wahlwienerin
Beruf bis 2010 Volksschullehrerin, ab 2010 Autorin (bei der Literaturagentur „Die Buchagenten“ unter Vertrag)
Hobbys Musik, Mitglied einer Band, Lesen, Konzerte, Theater

