„Eine Welle von Liebe durchflutete mich“

Menschen / 01.02.2024 • 15:20 Uhr
„Eine Welle von Liebe durchflutete mich“

Nach 68 gemeinsamen Jahren ging das betagte Ehepaar Armin und Gisela Spitzar Hand in Hand in den Tod. Sohn Marco Spitzar möchte jetzt ein Buch über seine Eltern schreiben.

Schwarzach Die Trauer begann bei Marco Spitzar (59) an dem Tag, an dem ihm seine 90-jährige Mutter Gisela und sein 88-jähriger Vater Armin offenbarten, dass sie zusammen freiwillig in den Tod gehen werden. „Sie haben es mir und meiner Schwester Daniela einige Monate vorher mitgeteilt.“ Unter seine Trauer mischte sich anfänglich Wut. „Ich war wütend, weil es so selbstbestimmt war und weil sie diese Entscheidung trafen, ohne uns einzubeziehen. Als Kind fühlt man sich verantwortlich für seine Eltern.“

Sie gingen gemeinsam in den Tod: Gisela und Armin Spitzar.
Sie gingen gemeinsam in den Tod: Gisela und Armin Spitzar.

Laut Marco nahmen sich seine Eltern selber als gebrechlich wahr. „Papi litt an Rückenschmerzen. Aber er war noch etwas fitter als Mami. Sie war auf den Rollator angewiesen.“ Marco glaubt, dass seine Eltern, die in der Nähe von München lebten und der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben angehörten, diesen Weg gingen, „weil sie nicht pflegebedürftig werden und uns Kinder nicht belasten wollten“.

Armin und Gisela Spitzar heirateten am 17. Dezember 1955 standesamtlich in Hamburg.
Armin und Gisela Spitzar heirateten am 17. Dezember 1955 standesamtlich in Hamburg.

Eine Woche vor dem Tag, an dem Armin und Gisela Spitzar in den Tod gingen, kam die Familie zu einem letzten gemeinsamen Abendessen zusammen. „Es war ein wunderschöner Abend. Wir redeten viel, sprachen über unser und ihr Leben. Dann verabschiedeten wir uns unter Tränen. Eine letzte Umarmung, ein letzter Kuss.“

Da waren Armin und Gisela Spitzar gerade mal ein halbes Jahr verheiratet. <span class="copyright">Buch "Alles von deiner Liebe"</span>
Da waren Armin und Gisela Spitzar gerade mal ein halbes Jahr verheiratet. Buch "Alles von deiner Liebe"

Eine Woche später, am 24. November 2023, war es so weit: Ein Arzt stellte den Spitzars ein Mittel zur Selbsttötung zur Verfügung. Der Mediziner legte ihnen im Beisein eines Notars eine Infusion. Dann öffnete das betagte Ehepaar die Kanülen. Marco kam erst ins Haus, nachdem alles vorbei war. „Ich wollte nicht dabei sein.“ Der Anblick seiner toten Eltern rührte ihn zutiefst. „Sie lagen händchenhaltend da, beide hatten einen friedvollen Ausdruck im Gesicht. Mich durchflutete eine Welle von Liebe.“

Urlaub im Süden. Da waren Armin und Gisela noch nicht verheiratet.
Urlaub im Süden. Da waren Armin und Gisela noch nicht verheiratet.

Händchenhaltend waren die Spitzars auch durchs Leben gegangen. „Sie waren sehr zärtlich zueinander. Ich merkte, dass sie sich lieben.“ Dass es auch in der Ehe seiner Eltern kleinere und größere Dramen gegeben hat, bezweifelt Marco aber nicht. „Diese blieben mir jedoch verborgen.“

Gisela und Armin lernten sich in Hamburg kennen. „Sie arbeiteten im selben großen Bürohaus, Mami als Telefonistin, Papi als kaufmännischer Lehrling in einer Versandabteilung, wo er unzählige Pakete schnüren musste. Später machte Daddy noch eine Ausbildung in einem Textilunternehmen. Er war künstlerisch sehr begabt, hat Kollektionen und Farben entwickelt.“

Ein Foto von Gisela Spitzar aus dem Jahr 1956.
Ein Foto von Gisela Spitzar aus dem Jahr 1956.
Armin Spitzar im Jahr 1953.
Armin Spitzar im Jahr 1953.

Das Paar heiratete früh, „nicht um wegzukommen von zu Hause, eher um nicht mehr zur Last zu fallen“. Die erste Wohnung, die das Paar bezog, wurde bescheiden eingerichtet. Apfelsinenkisten dienten als Möbelstücke, darüber kamen gehäkelte Deckchen. „Sie hatten nichts, aber sie hatten sich, die Zweisamkeit. Das Glück ist wichtiger als jeder Besitz.“ Als Daniela und Marco geboren wurden, war das Glück der Spitzars perfekt.

Mitte der 70er-Jahre zog das Ehepaar mit Sohn Marco nach Vorarlberg – Tochter Daniela, die fünf Jahre älter ist als Marco, blieb in Deutschland. „Eine Textilfirma in Bludenz hatte meinen Vater abgeworben. Daddy arbeitete dort als Produktmanager und Prokurist.“

Die Familie Spitzar im Sommerurlaub an der Nordsee im August 1968.
Die Familie Spitzar im Sommerurlaub an der Nordsee im August 1968.

Gisela gelang es, sich an der Seite ihres beruflich erfolgreichen Mannes zu behaupten. „Mami war wohl das frühe Beispiel einer emanzipierten Frau. Sie machte den Führerschein und eine Ausbildung zur Yogalehrerin. Danach hat sie eine Yogaschule aufgebaut in Nüziders. Das war eine echte Pionierleistung.“ Zusammen brachten es die Spitzars weit. „Sie bestärkten sich gegenseitig in ihrem Tun und waren nach außen hin eine verschworene Gemeinschaft.“ Armin und Gisela waren es gewohnt, ihr Leben nach eigenen Vorstellungen und Wünschen zu gestalten. „Sie führten zeitlebens ein sehr selbstbestimmtes Leben.“

Und so gingen sie auch in den Tod. Der Freitod seiner Eltern rang Marco großen Respekt ab. „Dafür braucht es großen Mut“, sagt Marco, der sich als Künstler intensiv mit dem Medium Klebstoff auseinandersetzt und damit eine einzigartige Nische in der zeitgenössischen Kunstszene geschaffen hat. Tränen steigen jetzt in seine Augen. Der Verlust seiner geliebten Eltern hat ihn in seiner Endgültigkeit schockiert und hinterlässt eine kaum zu füllende Lücke.  

Künstler Marco Spitzar vor einem seiner Werke.  <span class="copyright">Ivo Vögel</span>
Künstler Marco Spitzar vor einem seiner Werke. Ivo Vögel
Marcos Werk <em>Solidified Glue Flow</em>, geschaffen im Jahr 2023 aus Granitstein mit UHU-Kleber. <br>
Marcos Werk Solidified Glue Flow, geschaffen im Jahr 2023 aus Granitstein mit UHU-Kleber.

Anlaufstellen bei psychischen oder suizidalen Krisen – wo es Hilfe gibt

Telefonseelsorge Tel.: 142, tägl. 0-24 Uhr

auch E-Mail-Beratung

www.telefonseelsorge.at

Kriseninterventionszentrum

Tel.: 01 / 4069595, Mo-Fr 10-17 Uhr

auch E-Mail-Beratung

www.kriseninterventionszentrum.at

Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP)

Helpline-Service unter Tel.: 01 / 504 8000, Mo-Do 9-13 Uhr

www.boep.or.at/psychologische-behandlung/helpline

ifs Vorarlberg – Beratungsstellen

Bregenz: Tel.: 05 / 1755 510

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