“Ich weiß, wie es ist, wenn die Sonne nicht mehr aufgeht”

Danilo Lemp (55) gehörte als Bub den Regensburger Domspatzen an. In der Internatsschule des weltberühmten Knabenchors erlebte er Gewalt. Schläge und Demütigungen waren für ihn und etwa 500 weitere Betroffene an der Tagesordnung.
Kennelbach Danilo Lemp (55) wuchs behütet in der Nähe von Würzburg auf. Seine Eltern schenkten ihm viel Liebe. Aber der Bub lernte früh die Härten des Lebens kennen. Ein Tag vor seinem achten Geburtstag starb seine Mutter an Krebs. „Nach Mamas Tod bemächtigte mich eine große Kraftlosigkeit. Noch heute erinnere ich mich an dieses Gefühl der tiefen Erschöpfung.“ Die Volksschullehrerin, der Danilos Gesangstalent aufgefallen war, nahm sich seiner an. „Durch sie kam ich zu den Regensburger Domspatzen, dem weltbekannten Knabenchor. Denn die Pädagogin war der Meinung, dass ich musikalisch gefördert werden muss.“

1978 zog der damals Zehnjährige in das Internat Etterzhausen der Regensburger Domspatzen. Damit brachen für ihn vier schlimme Jahre an. Denn in der Internatsschule waren Schläge und Demütigungen an der Tagesordnung. „Wenn man die Zähne nicht geputzt oder das Schweigen beim Abendessen gebrochen hatte, gab es Prügel.“ In der Unterstufe des Gymnasiums erlebte er auch sexualisierte Gewalt – ein Oberschüler verging sich an ihm. Dass diese negativen Erfahrungen ihn nicht gebrochen haben, führt er darauf zurück, dass er acht Jahre lang behütet aufwuchs. „Ich konnte Urvertrauen und Resilienz aufbauen. Das gab mir die Stärke fürs Leben.“

Aus dem Internatszögling wurde zunächst ein Handwerker. Danilo absolvierte zwei Lehren, Installateur und Verputzer. „Dann habe ich mich als Handwerker selbstständig gemacht.“ Aber der junge Mann hatte noch ein zweites Standbein. „Ich bin als Keyboarder und Sänger in die Band ,Hard Touch‘ eingestiegen. Wir haben Rock- und Popmusik gemacht und sind vor allem im bayerischen Raum aufgetreten.“ 1989 tourte die Band durch Ungarn und trat als erste westliche Band im ehemals größten Atomwaffenstützpunkt der ehemaligen UDSSR auf. Dort knüpfte Danilo Kontakte zum SOS-Kinderdorf in Kecskèmet. „Wir haben die Tournee-Einnahmen dieser Kindereinrichtung gespendet, damit konnten für die Kinder Musikinstrumente angeschafft werden.“

Ab diesem Zeitpunkt ließen ihn die Kinderdorf-Zöglinge nicht mehr los. „Sie wurden zu meinem Lebensinhalt. Ich fuhr über Jahre jeden Monat ins Kinderdorf und habe die Kinder in Musik unterrichtet und ihnen beigebracht, wie man diverse Musikinstrumente spielt. Wir haben zusammen auch verschiedene CD-Projekte gemacht.“ Der Musikpädagoge brachte den Kindern viel Verständnis entgegen. Denn: „Durch den Tod meiner Mutter weiß ich, wie es ist, wenn die Sonne nicht mehr aufgeht.“
Über das ungarische SOS-Kinderdorf entstanden Kontakte zum SOS-Kinderdorf in Dornbirn, wo Danilo im Jahr 2000 als pädagogischer Mitarbeiter fix angestellt wurde. Im Zuge seiner Arbeit komponierte Danilo ein Musical. Mit „Der Traum“ ging der Musikpädagoge mit den Kindern beider SOS Kinderdörfer über Jahre auf Tour. „So habe ich unter anderem die Talente der Kinder gefördert.“ Die Arbeit erfüllte ihn, aber dann wurde das SOS-Kinderdorf in Dornbirn geschlossen. Danach kehrte der Vater von fünf Kindern in den Handwerksberuf zurück und machte sich wieder selbstständig. Nach einer schweren Herz-OP im Jahr 2022 musste Danilo jedoch kürzertreten.

Seine persönliche Aufarbeitung der Missbrauchserlebnisse begann im Jahr 2010, als Fälle von körperlichen Misshandlungen und sexuellem Missbrauch bei den Domspatzen publik geworden waren. Sie führte ihn zurück zu den Domspatzen. Die Begegnung mit Roland Büchner, den ehemaligen Domkapellmeister, war für das Missbrauchsopfer heilsam. „Dank Büchner konnte ich Frieden schließen. Denn bei der Chorprobe und beim Singen im Dom sah ich, wie wertschätzend er mit den Kindern umging.“ Auf Initiative von Danilo entstand sogar ein Videoclip, an der ehemalige Opfer und aktive Domspatzen beteiligt waren. „Unter Büchners Leitung konnte ich meine Komposition „Sonnenstrahlen“ verwirklichen“, freut er sich.

Als eines von zehn Mitgliedern engagiert sich Danilo, der auch ausgebildeter Theaterpädagoge ist, stark im Betroffenenbeirat Regensburg, der 2022 gegründet wurde, um Opfer von Missbrauch in der Diözese Regensburg zu unterstützen und begleiten. „Ich bin unter anderem für die Prävention zuständig.“ Danilo erarbeitete ein Präventionskonzept, das jetzt in Gemeinden und Schulen angewandt wird. „Zwei Kollegen und ich bieten theaterpädagogische Workshops zu den Themen Missbrauch, Gewalt und Mobbing an. Auf der Bühne spielen wir Schlüsselsituationen mit den Jugendlichen durch, um Themen, Anliegen und Fragen spielerisch anschaulich werden zu lassen.“
Der Theaterpädagoge steht gerne und nicht zum ersten Mal auf der Bühne. Schon im Jahr 2015 wirkte er in der Produktion „Jetzt wird geredet“ mit. In dem Stück ging es um Gewalterfahrungen bei Heimkindern. „Ich spielte das Opfer.“ Aktuell steht er mit dem von ihm geschriebenen Theaterstück „Die Summe des Ganzen“ auf der Bühne. Es thematisiert sexuellen Missbrauch in der Kirche. Danilo verkörpert den pädophilen Priester – das nächste Mal am 17. Mai im Stadttheater Regensburg.
Danilo Lemp
geboren 28. Oktober 1968 in Würzburg
Wohnort Kennelbach
Familie verheiratet, fünf Kinder
Hobby Spazierengehen
Lebensmotto Das Leben ist die Geschichte unserer Begegnungen.