“Mama, ich mag da nicht mehr hin!”

Drastischer Mobbingfall um minderjähriges Kind in einer Vorarlberger Mittelschule: Weshalb eine Familie die Bildungsdirektion klagt.
Feldkirch Heute ist Melanie (Name von der Redaktion geändert) ein 15-jähriges, fröhliches Mädchen, voller Energie und Freude, die Schule zu besuchen.
“Nur noch Haut und Knochen”
Doch das war bei Weitem nicht immer so. Vor eineinhalb Jahren verließ Melanie eine andere Mittelschule im Vorarlberger Unterland. Und das in der vierten Schulstufe, nur vier Monate vor dem Abschluss. “Sie war verzweifelt und nur noch Haut und Knochen”, schildert Melanies Mutter bei der Zivilgerichtsverhandlung am Landesgericht Feldkirch. Denn Melanies Familie klagt die Bildungsdirektion Vorarlberg als verantwortliche Institution auf Entschädigung, unter anderem Schmerzengeld. Der Grund: kontinuierliches Mobbing ihrer Tochter durch Mitschülerinnen in jener Mittelschule und deren unterlassene Gegenmaßnahmen.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Sonstige angezeigt.
Vor Gericht
Melanie kommt vor Richterin Larissa Bachmayer als Erste zu Wort. Die Schilderungen der nunmehr 15-Jährigen erschüttern, hören sich an wie eine Chronologie eines fortlaufenden Martyriums einer Minderjährigen. Es habe im Jänner 2023 begonnen und sich bis Ostern 2024 fortgesetzt. Eine Gruppe von Schülerinnen hätte sich ohne jeden Anlass plötzlich gegen sie formiert. “Sie beleidigten mich hinter meinem Rücken und vor mir. Sie lästerten immer wieder über meine Kleidung und meinen Körper. Sie verschickten über WhatsApp gefälschte Screenshots von mir mit beleidigenden Worten und Smileys. Nachdem ich mit dem Direktor darüber gesprochen hatte, wurde ich sogar von Schülerinnen der Parallelklasse umzingelt und gefragt, was ich denn da erzähle.” So ging das monatelang.

Tränenreich
Melanies Eltern werden von der Richterin befragt. Mutter und Vater brechen in Tränen aus, so drückend ist ihre Belastung und das erfahrene Leid. “An einem helllichten Nachmittag war es im Zimmer von Melanie stockdunkel. Ich guckte durchs Schlüsselloch und sah Melanie weinend im Bett. Sie sagte ‚Mama, ich mag da nicht mehr hin!‘ und meinte damit die Schule. Unsere Tochter aß nichts mehr und magerte ab. Immer wieder jammerte sie, dass sie aus Angst vor Repressalien nicht mehr wisse, was sie anziehen sollte. Wir kauften ihr neue Kleider und haben alles versucht, damit sie keine Angriffsfläche bietet”, erzählt die Mutter als Zeugin.
Vorsprache in der Schule
Die Eltern sprachen beim Direktor vor und beim Klassenvorstand. Doch nichts habe eine Veränderung bewirkt. “Der Direktor sagte uns, ein Holz gibt noch kein Kreuz”, so die Eltern. Eine von der Schule initiierte “Unterstützergruppe” für Melanie habe die Sache nur verschlimmert. Die pädagogische Beraterin der Schule habe Melanie geraten, auf einen Zettel die Worte “Ich bin stark und toll und gut, wie ich bin” zu schreiben und sich das im Fall von weiterem Mobbing ständig einzureden.
“Russisches Roulette”
Der Klassenvorstand hatte die Sitzplatzordnung in der Klasse über das Los bestimmen lassen. Ausgerechnet die “Haupttäterin” der Mobbinggruppe hätte dann den Platz neben Melanie eingenommen. “Das war wie ein russisches Roulette”, brüskiert sich der Vater als Zeuge. Diese unselige Sitzordnung währte drei Monate lang, bis der Klassenvorstand auf die Beschwerden hin endlich eine andere Schülerin neben Melanie platzierte. Vor Gericht befragt, sagt der Klassenvorstand: “Aus meiner Sicht konnte ich kein Mobbing erkennen, nur einen Streit unter Schülerinnen.”
Problem Cybermobbing
Der Direktor gibt als Zeuge an, sich die mobbenden Schülerinnen zur Brust genommen zu haben. Die Mädchen hätten versprochen, nicht mehr über WhatsApp über Melanie zu lästern. Einmal mehr wirkungslos. Und überhaupt Cybermobbing: “Handys sind an unserer Schule nicht erlaubt. Über WhatsApp wird bei uns nicht kommuniziert. Deshalb kenne ich auch jene beleidigenden Inhalte nicht”, sagt der Direktor. Doch Klagsvertreter Rechtsanwalt Bertram Grass gibt dem Schulleiter daraufhin zu bedenken: “Niemand weiß so gut wie Sie, dass Medien wie WhatsApp schlichtweg das klassische Instrument für Mobbing in der Schule sind.”
Doch immer wieder wird die Verantwortung an die fallführende, pädagogische Beraterin zugeschoben. An jene wandte sich auch die von den Eltern konsultierte, ehemalige Mitarbeiterin der Mobbing-Koordinationsstelle der Bildungsdirektion, Michaela Uitz-Steinhauser. Sie riet der Fallführenden, durch zwei externe Experten ein Sozialtraining für die Klasse durchführen zu lassen. Doch dazu kam es nicht, wie die Beraterin selbst als Zeugin ausführt: “Ich bin ausgestiegen, weil ich keine Ressourcen mehr dafür hatte und das Vertrauensverhältnis mit den Eltern nicht mehr bestand.”
Nun werden vom Gericht eine Psychologin und ein Psychologe mit einem Gutachten zur Klärung der Frage beauftragt, ob die Schule in der Sache die richtigen Maßnahmen angewandt habe.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Iframely angezeigt.

Cybermobbing in der Schule
Schwarzach Psychotherapeutin und Mobbing-Expertin Michaela Uitz-Steinhauser spricht zum aktuellen Fall: “Wenn ein Kind an einer österreichischen Schule Opfer von Cybermobbing ist, das z. B. im WhatsApp stattfindet, ist grundsätzlich die Schule zuständig, auch wenn die Vorfälle außerhalb des Schulgebäudes und der Unterrichtszeit stattfinden.”
Das Cybermobbing wirkt in die Schule hinein, da es das Schulklima und das Wohlbefinden des betroffenen Schülers beeinträchtigt. Eine Schule hat die Pflicht, für die körperliche Sicherheit und Gesundheit ihrer Schüler zu sorgen (§ 51 Abs. 3 SchUG). Dies schließt auch die psychische Gesundheit ein. Daher muss die Schule aktiv werden, sobald sie Kenntnis von solchen Vorfällen erhält.
Was die Schule tun muss
Die Schule hat eine Reihe von pädagogischen und rechtlichen Maßnahmen, die sie ergreifen kann:
- Pädagogische Maßnahmen: Die Schule muss das Verhalten der Täterinnen im Rahmen von Erziehungsmaßnahmen berücksichtigen. Dazu gehören Gespräche mit den beteiligten Schülerinnen und deren Eltern, Vermittlungsversuche und pädagogische Interventionen. Das Ziel ist es, das Mobbing zu stoppen und den Tätern die Konsequenzen ihres Verhaltens aufzuzeigen.
- Rechtliche Maßnahmen: In schweren Fällen, in denen das Mobbing strafrechtlich relevant ist, ist ist es ratsam, die Polizei mit ins Boot zu holen. Cybermobbing ist in Österreich ein eigener Straftatbestand (§ 107c StGB).
Was Eltern und Schülerinnen tun können
- Beweise sichern: Screenshots von Nachrichten, Bildern oder Videos sind wichtige Beweise. Sie sollten gesichert und der Schule, der Polizei usw. vorgelegt werden.
- Kontakt zur Schule aufnehmen: Betroffene sollten sich an eine Vertrauensperson in der Schule wenden, wie Schulleitung, Klassenvorstand, die Schulpsychologie, pädagogische Beratung, Schulsozialarbeit, …
- Externe Hilfe suchen: Organisationen wie Saferinternet.at, Rat auf Draht (Notrufnummer 147) oder die Internet Ombudsstelle bieten Beratung und Unterstützung an. Bei strafrechtlich relevanten Taten ist auch eine Anzeige bei der Polizei möglich.
Wenn digitales Mobbing in Schulklassen stattfindet, findet meistens auch analoges Mobbing statt. Digitales Mobbing ist in diesem Fall analog zu bearbeiten.