“Man braucht einen Sinn im Leben”

Invalidenrentner Klaus Berchtel (60) könnte dem Müßiggang frönen. Stattdessen stellt er Zeitungen zu.
Hörbranz Klaus Berchtel (60) ist von Geburt an gehandicapt. Eine Rhesusfaktor-Unverträglichkeit während der Schwangerschaft führte bei dem neugeborenen Buben zu spastischen Bewegungsstörungen und einer Sprechstörung. Wegen dieser schickten ihn seine Eltern fünf Jahre später ins Sprachheilheim Carina. Drei Jahre verbrachte Klaus dort als Internatszögling. „Es war knüppelhart. Wenn man nicht gehorchte, gab es Ohrfeigen. Oder man bekam kein Mittag- oder Abendessen.“
Die Schule meisterte Klaus ohne Probleme. Danach arbeitete der Schnifner mehr als 25 Jahre lang als Autolackierer. „Ich wäre gerne Automechaniker geworden, aber das traute man mir nicht zu.“ Obwohl Klaus Anspruch auf einen geschützten Arbeitsplatz gehabt hätte, arbeitete er immer im regulären Arbeitsmarkt. „Man hat mich wie alle anderen behandelt.“

Wegen seines Handikaps, der Spastik, endete sein Arbeitsleben mit 40 Jahren abrupt. „Ich bekam Probleme mit den Gelenken.“ Klaus musste seinen Beruf aufgeben und in die Invalidenpension gehen. Aber mit 40 fühlte er sich zu jung, um nichts zu tun. „Es ist wichtig, dass man eine Aufgabe hat. Man braucht einen Sinn im Leben“, findet der Schnifner, der 1998 eine Frau heiratete, die wie er mit einer Behinderung durchs Leben gehen muss. Einige Jahre vorher hatte er Marion bei einem Ausflug für beeinträchtigte Menschen kennengelernt. Mit ihr bekam Klaus drei gesunde Kinder.
Nach der Pensionierung fand der Wahlhörbranzer für sich eine neue Aufgabe. Klaus wurde Zeitungsausträger. Seit 20 Jahren stellt er die VN in Lochau und Hörbranz zu. “Ich arbeite zwischen ein und drei Uhr nachts.”

Wegen gesundheitlicher Probleme musste er die letzten sieben Monate aber pausieren. „Ich hatte plötzlich Lähmungserscheinungen auf der linken Körperhälfte. Das ging so weit, dass ich nicht mehr gehen konnte.“ Im Spital stellte man fest, dass sein Wirbelkanal verengt war. „Ich wurde im November operiert.“ Seither geht es mit ihm langsam, aber stetig aufwärts. Inzwischen kann Klaus wieder gehen, mit Zuhilfenahme einer Krücke. „Seit vier Wochen stelle ich auch wieder Zeitungen zu“, ist er froh, dass er wieder arbeitsfähig ist. Auch mit 60 fühlt sich Klaus noch zu jung, um nur dem Müßiggang zu frönen.