Vom obdachlosen Drogensüchtigen zum leitenden Sozialpädagogen: Die Geschichte von Philipp Meier

Sozialpädagoge Philipp Meier (50) arbeitet mit straffällig gewordenen Jugendlichen. Er versteht sie gut. Denn auch er geriet als Jugendlicher auf die schiefe Bahn.
Lustenau Das Leben bereitete ihn Schritt für Schritt auf die Arbeit vor, die er heute macht: Philipp Meier (50) ist leitender Sozialpädagoge in einer Sozialeinrichtung für straffällig gewordene Jugendliche in Oberuzwil (Schweiz). Der gebürtige Schweizer, der mit einer Vorarlbergerin verheiratet ist und heute in Lustenau lebt, hatte selbst auch keine einfache Kindheit. „Meine Eltern gehörten einer Freikirche an. Deswegen wurde ich in der Schule gehänselt und ausgegrenzt. Man warf mir vor, in einer Sekte zu sein.“ Auch zu Hause hatte er es nicht gut. „Mein Vater war gewalttätig. Er züchtigte mich im Namen der Religion.“

Als Jugendlicher rebellierte Philipp. „Ich wollte aus der Gewaltspirale und den engen christlichen Strukturen ausbrechen.“ Er schwänzte die Schule, trieb sich in Spielsalons und auf der Straße herum. Mit 14 rauchte er Joints, später spritzte er sich Heroin. „Zwei Jahre lebte ich in Zürich auf der Straße. Ich übernachtete in Parks und im Winter beim Bahnhof und ernährte mich vom Essen, das die Heilsarmee ausgab. Irgendwie habe ich überlebt.“ Seinen eigenen Drogenkonsum finanzierte er mit Dealen und Einbrüchen. „Gewalttätig war ich nie. Ich wollte so gut es ging niemandem schaden.“

Kurz vor seinem 20. Geburtstag griff ihn die Polizei auf dem Platzspitz auf. Philipp wurde wegen Drogenhandels verurteilt. „Dank meines Anwaltes musste ich nicht ins Gefängnis. Stattdessen musste ich eine Therapie machen.“ In einer Therapiestation in der Ostschweiz machte er zunächst einen kalten Entzug (ohne unterstützende Medikamente). „Die ersten drei Tage waren so schlimm, dass ich am liebsten gestorben wäre.“ Nach dem Entzug arbeitete Philipp mit Therapeuten und Psychologen sein Leben auf. Außerdem war er in der kleinen Gärtnerei der Therapieeinrichtung tätig. „Die Arbeit gefiel mir.“

Nach der Therapie bewarb er sich in einer Gärtnerei in St. Gallen. Philipp bekam die Stelle und absolvierte eine Lehre zum Gärtner. Danach öffnete sich für ihn erneut eine Tür. „Die Einrichtung, in der ich die Therapie gemacht hatte, suchte einen Gärtnermeister. Man fragte mich, ob ich den Job machen will.“ Fünf Jahre lang arbeitete Philipp mit suchtkranken Menschen. „Ich tat es gern. Aber ich kam an meine Grenzen, weil ich keine Ahnung hatte, wie man mit diesen Menschen umgeht. Ich merkte, dass ich in diesem Bereich eine Ausbildung brauche. Damals dachte ich zum ersten Mal daran, mich zum Sozialpädagogen ausbilden zu lassen.“

Während seiner vier humanitären Einsätze in Russland und in der Ukraine, wo er einige Wochen lang Straßenkinder betreute, merkte er, dass er gern mit Kindern und Jugendlichen arbeitet. „Mir wurde klar, dass ich das auch zu Hause, in der Schweiz machen möchte.“ Jetzt fackelte Philipp nicht mehr lange und bewarb sich an mehreren Hochschulen. „Im Kanton Graubünden nahm mich eine trotz meines Vorstrafenregisters auf. Jetzt konnte ich berufsbegleitend die vierjährige Ausbildung zum Sozialpädagogen machen. Nebenher arbeitete ich in einem Schulheim für verhaltensauffällige Kinder.“

Nach dem Studium bekam der Sozialpädagoge einen Job im Jugendheim Platanenhof. „Wir sind die letzte Anlaufstelle für straffällig gewordene Jugendliche, die besonders schwierig sind.“ Die Aufgabe von Philipp ist es, die Situation der Jugendlichen abzuklären und zu eruieren, welche weiteren Maßnahmen nötig sind. „Das geht nur, wenn man zum Jugendlichen eine Beziehung aufbaut. Aufgrund meiner eigenen Geschichte fällt mir die Beziehungsarbeit leicht. Ich kann mich in die jungen Menschen gut einfühlen. Das spüren sie.“ Als vor neun Jahren eine Abteilungsleiterin kündigte, fragte man ihn, ob er die Abteilung übernehmen wolle. Philipp zögerte nicht und übernahm die Verantwortung für acht Jugendliche und sieben Sozialpädagogen.

Dem 50-Jährigen, der berufsbegleitend noch ein Kriminologie-Masterstudium absolvierte, gefällt seine Arbeit, auch weil sie so vielfältig ist. „Kein Jugendlicher ist wie der andere.“ Aber diese Arbeit hat auch ihre Tücken. „Manchmal kommt es zu Konflikten und zu Wutausbrüchen. Man wird beschimpft und angelogen. Wenn es eskaliert, übernehme ich. Die Krisengespräche leite ich.“ Wenn es schwierig wird, egal, ob im Beruf oder in der Familie – Philipp ist fünffacher Vater – wendet er sich an Gott. „Dann suche ich Zuflucht bei ihm.“ Als er in Therapie war, um von den Drogen loszukommen, ist Gott zu seinem Halt geworden. „Er hat mir viele Türen geöffnet. Dafür bin ich ihm dankbar. Aber manchmal streite ich auch mit ihm – wenn ich Ärger habe an dem Platz, wo er mich hingestellt hat.“
geboren 4. Juli 1973
Wohnort Lustenau
Familie verheiratet, fünf Kinder
Hobbys Fliegenfischen, Wandern, Joggen