Familienschicksal Verkehrsunfall

04.03.2024 • 10:52 Uhr
harald geiger
Harald Geiger mit seiner Mutter Renate. Sie starb nach einem Verkehrsunfall im Jänner 2020.

Renate Geiger, die Mutter des Dornbirner Kinderarztes, wurde auf einem Schutzweg niedergefahren. Tage später starb sie.

Dornbirn Am späten Nachmittag des 20. Jänner 2020 wollte Renate Geiger ihr fünfjähriges Enkelkind von der Singstunde abholen. Aber Lia wartete im Pfarrheim vergeblich auf ihre geliebte Großmutter. Denn diese wurde auf dem Weg zum Pfarrheim beim Überqueren eines Schutzweges im Dornbirner Stadtteil Haselstauden von einem Auto erfasst und acht Meter durch die Luft gewirbelt. Renate erlitt schwerste Kopfverletzungen. Nur noch Maschinen hielten die damals 78-Jährige am Leben. Ihre Familie stand vor einer unheimlich schweren Entscheidung. Sollen die Maschinen abgeschaltet werden oder nicht? „Aus Mama wäre im besten Fall ein schwerer Pflegefall geworden. Das hätte sie keinesfalls gewollt. Deshalb baten wir die Ärzte schweren Herzens, die Maschinen auszuschalten,“ erzählt ihr Sohn Harald Geiger (65) bewegt.

Kreuzung Dornbirn Haselstauden Verkehr Stadt
Auf einem Schutzweg in Dornbirn-Haselstauden wurde die Mutter des Kinderarztes niedergefahren.

Renate war ein Kriegskind. Ihre Mutter flüchtete im März 1945 mit ihr und ihrem Bruder aus dem bombardierten Dessau nach Frankfurt. „Mama erzählte mir, dass sie nur einen Kochtopf und eine Puppe mitnehmen konnten. Die Puppe hat sie zu ihrem großen Bedauern auf der Flucht verloren.“

harald geiger
Die stolze Großmutter mit ihrer kleinen Enkelin Lia.

Renate war sehr kinderlieb. „Bevor sie meinen Vater, einen Österreicher, kennenlernte und mit ihm eine Familie gründete, arbeitete sie in einem Kinderheim.“ Mit 17 Jahren wurde Renate selbst Mutter, und das gleich im Doppelpack. „Mit Ralf habe ich einen Zwillingsbruder“, so Harald. Insgesamt schenkte Renate drei Kindern das Leben. Der Vater ihrer Kinder war ihre große Liebe. Mit Helmut, der eine Tankstelle betrieb, ging sie Hand in Hand durchs Leben. Die Eltern waren Vorbilder für Harald. „Sie lebten mir vor, dass man als Paar auch in schwierigen Zeiten zusammensteht“. Als Helmut an Demenz erkrankte, pflegte ihn seine Frau ganz selbstverständlich bis zu seinem Tod.

Renate und Helmut waren stolz auf ihre Kinder. Jedes ging seinen Weg. Harald etwa studierte Medizin in Innsbruck und spezialisierte sich auf Kinder- und Jugendheilkunde. „Bevor ich meine Kinderarztpraxis im Jahr 1999 eröffnete, war ich 22 Jahre lang im Dornbirner Spital tätig, zuletzt als Oberarzt auf der Kinderabteilung.“

harald geiger
Renate Geiger war mit Hingabe Großmutter.

Als Großeltern waren Renate und Helmut sehr engagiert. „Als der Sohn meines jüngsten Bruders Thomas 1998 nach einem schweren, unverschuldeten Verkehrsunfall gepflegt werden musste, waren meine Eltern hilfreich zur Stelle“, erinnert sich Harald, der seine Frau Veronika, eine Dornbirnerin, während des Studiums in Innsbruck kennengelernt hatte. Haralds Eltern lebten in einem Vorort von Frankfurt und kamen regelmäßig, manchmal sogar zweimal im Monat nach Vorarlberg, um die Enkelkinder zu sehen.

“Man sollte schutzbedürftigen Verkehrsteilnehmern mehr Rechte einräumen. Jedes Unfallopfer ist eines zu viel.”

Harald Geiger, Gründer der Bürgerinitiative “Sicheres Haselstauden”

Als sein Vater aus Altersgründen den Betrieb aufgab, holte Harald seine Eltern ganz nach Vorarlberg. „Sie waren uns als Großeltern eine große Stütze.“ Zu Lia, Haralds und Veronikas jüngstem Kind, einem Pflegekind, baute Renate eine besonders tiefe Beziehung auf. „Die beiden haben sich sehr geliebt.“

Kampf für Tempo 30

Der tragische Verlust der Mutter bewog den Mediziner dazu, die Bürgerinitiative „Sicheres Haselstauden“ ins Leben zu rufen und sich für Verkehrssicherheit zu engagieren. „Wir kämpfen vehement für sichere Verkehrsübergänge und ein generelles Tempolimit von 30 km/h im Verlauf der L190 durch Haselstauden. Denn es ist ein Unterschied, ob ein Fahrzeuglenker mit 40 km/h oder mit 30 km/h unterwegs ist, wenn es zu einem Unfall kommt.“

Harald für Martina Kuster
Renate mit ihrem Enkel Philip.

Der Kinderarzt weiß, wie gefährlich die Verkehrssituation in Haselstauden ist – und das nicht erst seit dem tödlichen Unfall seiner Mutter. „An einem Märztag im Jahr 2010 war ich mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit, als mir ein Autofahrer die Vorfahrt nahm. Der Pkw erfasste mich. Es warf mich über die Motorhaube. Ich hatte Glück, blieb unverletzt. Aber der Helm war kaputt.“

Seinen Sohn Philip erwischte es schlimmer. „Philip prallte am 21. Juli 2017 mit seinem Fahrrad frontal gegen einen VW-Bus, der ihm als Geisterfahrer auf seiner Fahrspur entgegenkam. Dabei wurde er erheblich verletzt. Mein Sohn betrieb Kendo, das ist eine japanische Schwertkampfkunst. Er war in der Nationalmannschaft und gut trainiert – das hat ihn vor Schlimmerem bewahrt. Aufgrund der Verletzungen, die er sich bei der Kollision in Haselstauden zuzog, konnte er den Wettkampfsport nicht mehr ausüben.“

Harald
Harald Geiger kämpft für mehr Verkehrssicherheit.

Nach Harald und seiner Familie sollte man die Mobilität überdenken und schutzbedürftigen Verkehrsteilnehmern mehr Rechte einräumen. „Jedes Unfallopfer ist eines zu viel.“