Christian Rainer

Kommentar

Christian Rainer

Regierungsbildung im Vierviertel-Takt

28.02.2025 • 13:48 Uhr

1. Mit Herbert Kickl ist kein Staat zu machen

Es ist müßig, über die „Positionen“ der FPÖ zu sprechen, denn diese sind ohnehin nur Verhandlungsmasse, Maskerade für das eigentliche Programm: die permanente Eskalation, das Spiel mit der Angst, die Lust an der Zerstörung. Sigmund Freud hätte an Herbert Kickl seine Freude gehabt, denn hier steht eine psychostrukturelle Fallstudie par excellence vor uns – ein Paradebeispiel für das, was Wilhelm Reich als „autoritäre Triebunterdrückung“ beschrieb. Dass die ÖVP letztlich nicht mit der FPÖ koalierte, lag nicht an diesen Positionen, sondern an der Struktur dieser Partei, an ihrer Führung, an Kickl selbst. Es gibt toxische Konstellationen, mit denen kein verlässliches Regieren möglich ist – und das hat, so zeigt sich, selbst die ÖVP erkannt.

2. Die ÖVP: In Trance getrieben von der Industrie

„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, wusste bereits Bertolt Brecht. Und so war die ÖVP, getrieben von den Wünschen der Wirtschaft, vor allem der Industrie, zu allem bereit. Macht und Einfluss sind die Währung dieser Partei, Prinzipien und Werte dem regelmäßig untergeordnet. Dass es dennoch nicht zu Blau-Schwarz kam, lag weniger an moralischen Bedenken, sondern an der Panik in den eigenen Reihen. Wer in internationale Märkte eingebunden ist, kann es sich nicht leisten, mit einem Koalitionspartner regieren zu müssen, der in Brüssel als Sprengmeister gilt. Bis dahin allerdings stolperte die ÖVP wie in Trance durch diese Verhandlungen – bereit, sich jeder neuen Konstellation anzupassen, solange Interessen gewahrt blieben.

3. Die Vernunft kam aus zwei Richtungen

Es gibt dann doch Momente in der Politik, in denen sich Vernunft durchsetzt – oft nicht aus Überzeugung, sondern aus Notwendigkeit oder gar Zufall. In diesem Fall war es einem Whistleblower in der ÖVP zu verdanken, der das fette, in Entstehung befindliche Koalitionspapier von Blau-Schwarz an den ORF spielte. „Man hat immer eine Wahl.“ Das Zitat wird Václav Havel zugeschrieben, und dieser Schritt zeigte, dass es Menschen gibt, die dem Irrsinn ein Ende setzen können. Ich weiß, wer die agierenden Personen waren. Sie verdienen Anerkennung, zumindest für ihre Klarsicht.

Die zweite Kraft, die zur Vernunft beitrug, war die Wiener SPÖ. Dass Andreas Babler am Ende seine Positionen aufweichte und seine Attitüden sedierte, hatte viel mit dem Druck aus der eigenen Partei zu tun. Die Wiener SPÖ, oft als schwerfällig und traditionsverhaftet beschrieben, zeigte, dass sie weiß, wann sie ihre Muskeln spielen lassen muss. So kam es, dass die Vernunft am Ende nicht nur eine Chance bekam, sondern auch eine Mehrheit.

4. Ein Kompromiss ohne Glanz, aber mit Potenzial

Das Koalitionspapier der neuen Regierung ist ein Dokument der Vorsicht, der Absicherung – ein Kompromiss ohne Leuchtturmprojekte. Und doch gibt es zwei Personalien, die bemerkenswert sind. Erstens: Der zukünftige Finanzminister Markus Marterbauer. Ein Profi als Ökonom, ein Mann, der weiß, was er tut. Und ein linker Ideologe. Wird er, ähnlich wie weiland sein Vorgänger Ferdinand Lacina, mit ökonomischer Vernunft an diese entscheidenden Position agieren? Ich bin neugierig.

Und zweitens: Beate Meinl-Reisinger. Die Neos-Chefin wird Österreichs Gesicht in der Welt sein. Sie ist nicht nur klug und eloquent, sondern auch entschlossen. Sie steht für eine mit Werten der Aufklärung aufgeladene EU, für ein europäisches Verteidigungsbündnis. Ihre Partei kokettiert nur halb heimlich mit einem NATO-Beitritt. Damit wird Meinl-Reisinger eine Rolle spielen, die über die Innenpolitik hinausragt, mit Kickl und nach Kurz dringend vonnöten – bella figura, die Österreich international repräsentieren wird.

Fazit? Keine Euphorie, kein Grund zur Verzweiflung. Die Vernunft hat sich – sehr knapp – durchgesetzt. In diesen Zeiten des Vulgärpopulismus ist das eine Leistung.

Christian Rainer ist Journalist und Medienmanager. Er war 25 Jahre lang Chefredakteur und Herausgeber des Nachrichtenmagazins profil.