Der Heilige Gral für alle

04.05.2025 • 12:26 Uhr
The Erlkings
Die vier Musiker beherrschen ihre Instrumente in allen Stilrichtungen, vom Barock oder der Volksmusik bis zum Jazz. SChubertiade

Schuberts „Winterreise“ mit den Erlkings bei der Schubertiade.

Ulrike Längle

Hohenems Die „Winterreise“ ist der Heilige Gral der Schubertianer: Dieser Zyklus „schauerlicher Lieder“, wie Schubert seine Komposition nannte, gilt als Gipfel des Liedgesangs schlechthin, als existentiell dringliches Vermächtnis des schon vom Tod gezeichneten Komponisten und als Prüfstein für jeden Schubert-Interpreten, ob Sänger oder Klavierbegleiter. Die Folge von 24 Liedern wird ohne Pause durchgesungen, meist in einer Atmosphäre fast religiöser Andacht.

The Erlkings
Die Besetzung mit Gitarre (Bryan Benner), Cello (Ivan Turkalj), Tuba (Simon Teurezbacher) und Schlagzeug/Vibraphon (Thomas Toppler) besteht seit zehn Jahren.

Ganz anders in Hohenems: Das Publikum im vollbesetzten Saal war deutlich jünger als sonst, und der heftige Auftrittsapplaus zeigte, dass hier viele Fans der Erlkings versammelt waren. Bryan Benner, der Sänger, Gitarrist und Übersetzer der Texte von Wilhelm Müller, wies in seiner Moderation auf drei Unterschiede hin: Nach zwölf Liedern gäbe es eine Pause (Schubert selbst hat die ersten und zweiten zwölf Nummern in gewissem zeitlichem Abstand komponiert), die Texte habe er selbst am Strand von Hawaii in der Gesellschaft von Buckelwalen ins Englische übersetzt und die Besetzung mit Gitarre, Cello (Ivan Turkalj), Tuba (Simon Teurezbacher) und Schlagzeug/Vibraphon (Thomas Toppler), die seit zehn Jahren besteht, schreibe ihre Arrangements nicht aus, sondern spiele von den Klaviernoten. Benner stellte vor dem Spielen sehr anschaulich und feinfühlig den Inhalt von jeweils sechs Liedern vor, sodass das Publikum, auch wenn es die „Winterreise“ nicht kannte, wusste, worum es ging.

The Erlkings
Die vier Musiker beherrschen ihre Instrumente in allen Stilrichtungen, vom Barock oder der Volksmusik bis zum Jazz.

Die vier Musiker beherrschen ihre Instrumente in allen Stilrichtungen, vom Barock oder der Volksmusik bis zum Jazz, jedes Lied bekommt eine eigene, charakteristische Begleitung. Das berühmte „Fremd bin ich eingezogen“ erklang zuerst gepfiffen zur Gitarre, dann mit Stimme und dann mit den übrigen Instrumenten. Bei der dramatischen „Wetterfahne“ stand das Schlagzeug mehr im Vordergrund, in „Gefrorene Tränen“ imitierte das Cello mit Pizzicato die Tränen, „Erstarrung“ klang bei „Wo find ich eine Blüte“ wie ein flotter Folk-Song. „Der Lindenbaum“ geriet zum eindrucksvollen Tongemälde, „Frühlingstraum“ gestaltete sich zur auskomponierten Szene mit Volksmusikelementen. Nach der Pause wurde der Ablauf noch stimmiger. In „Die Post“ imitierte die Tuba das Posthorn, „Der greise Kopf“ mit Jazzbesen im Schlagzeug klang wie ein Schleicher in einer Bar nach Mitternacht. Die instrumentale Einleitung zu „Letzte Hoffnung“ erinnerte an experimentelle Musik des 20. Jahrhunderts. „Mut“ fegte wie ein düsterer Wirbelwind mit Stampfen des Sängers über die Bühne. Der abschließende „Leiermann“ bekam durch die tiefen Töne des Cellos eine weiche Klangaura.

The Erlkings
Die fantasievollen und subtilen Begleitarrangements machen Facetten an Schuberts Musik hörbar, die ein Klavier allein nicht ausdrücken kann.

Bryan Benner erzählte in seiner Einleitung, dass die Idee zu diesem Neuarrangement von Gerd Nachbauer selbst stamme: Er habe vor einigen Jahren den Wunsch geäußert, eine „frische, junge Version“ der „Winterreise“ zu bekommen. Das Vorhaben ist geglückt. Durch die Texte in modernem Englisch wirken die Leiden des an der Liebe und dem Leben verzweifelnden Protagonisten sehr zeitgenössisch und nachvollziehbar. Bei den Begleitinstrumenten dominieren die tiefen, warmen Klänge von Cello und Tuba, was den gefühlsmäßigen Zugang erleichtert. Die fantasievollen und subtilen Begleitarrangements machen Facetten an Schuberts Musik hörbar, die ein Klavier allein nicht ausdrücken kann. Für Schubert-Puritaner ist diese „Winter-Journey“ vermutlich nichts. Für alle mit offenen Ohren könnte sie Kult werden.