Wolfgang Burtscher

Kommentar

Wolfgang Burtscher

Kommentar: Eine schwere Geburt

10.08.2025 • 10:50 Uhr

Es war ein politisches Erdbeben im vergangenen November in der Steiermark. Die Landeshauptmann-Partei ÖVP verlor neun Prozentpunkte. Auch die SPÖ hatte ein sattes Minus. Beide Parteien hatten das Projekt eines Leitspitals betrieben und die Schließung von Kleinspitälern. Die FPÖ, deren zentrales Wahlkampfthema der Kampf gegen die Schließungen war, hat in den betroffenen Gemeinden Rekordergebnisse zwischen 51 und 63 Prozent erzielt. Und stellt seither den Landeshauptmann. Dass Reformen im Spitalsbereich beim Wähler ins Auge gehen können, zeigte sich heuer im März in Niederösterreich. In den betroffenen Gemeinden hat die ÖVP teils zweistellig verloren.

“Parteien, die mit der Schließung von Krankenhäusern in Verbindung gebracht werden, verlieren dauerhaft an Rückhalt.”

Dabei ist evident, dass die Zusammenlegung von Kleinspitälern Kostensenkungen bringt, dazu eine verbesserte medizinische Qualität durch Spezialisierung und eine moderne Infrastruktur. Vor über zehn Jahren hat man in Linz drei Spitäler zusammengelegt. Mit über 1800 Betten ist es heute das zweitgrößte Spital Österreichs, das akademische Lehre, Forschung und eine spitzenmedizinische Versorgung vereint. Warum sind die Wähler dennoch gegen Zusammenlegungen? Sie empfinden sie als Abbau der Daseinsvorsorge. Das führt zu einem Vertrauensverlust gegenüber der Landesregierung. Parteien, die mit der Schließung von Krankenhäusern in Verbindung gebracht werden, verlieren dauerhaft an Rückhalt. In vielen Gemeinden befürchtet man durch die Zusammenlegung eine Entmündigung und dass lokale Bedürfnisse nicht mehr ausreichend berücksichtigt werden. Es gibt die Angst vor dem Verlust lokaler Arbeitsplätze (befeuert durch Gewerkschaften) und der Schwächung der lokalen Wirtschaft. Ärzte und Bürgerinitiativen argumentieren häufig mit der Tradition. Die Menschen glauben, dass „ihr“ Spital für lokale Identität steht. Diese emotionale Denkweise lässt sich nur schwer durch rationale Argumente überbrücken.

Genau vor diesem Dilemma steht die geplante Reform von Gesundheits-Landesrätin Martina Rüscher (ÖVP). Alle Spitalsstandorte sollen erhalten bleiben, aber nicht mehr alle Fachbereiche anbieten. Jeder Fachbereich soll aber in den beiden Regionen (Nord und Süd) zumindest einmal angeboten werden. Das Ziel ist klar: Kosten senken, Kompetenzen bündeln und Doppelstrukturen vermeiden. Die klassische wohnortnahe Versorgung rückt dabei in den Hintergrund. In Kolumnen wie dieser ist das Lob für Politiker (m/w) nicht so häufig. Im Hinblick auf die Ohrfeigen, die das Wahlvolk in der Steiermark und in Niederösterreich ihrer Partei verpasst hat, ist Rüscher eines nicht abzusprechen: Mut und Entschlossenheit. Sie nutzt das Zeitfenster bis zur nächsten Landtagswahl in vier Jahren für Reformen, die nicht allen schmecken. Zitat aus einem VN-Interview: „Das wird richtig viel Wirbel geben, aber wir werden es durchziehen“. Sie macht nicht den Fehler von Niederösterreich – intransparente Reform – sondern spielt mit offenen Karten. Wie das Amen im Gebet kommt jetzt der Widerstand von Gemeinden, siehe die Proteste von Bludenz gegen die Schließung der Geburtenstation. Die Anfahrt nach Feldkirch sei nicht zumutbar. Im Ernst? Rüschers Reform hat eine Schwachstelle. Sie beseitigt nicht den Anachronismus, dass die Stadt Dornbirn selbst ein Spital betreibt, mit teilweiser Parallelstruktur zu den nahegelegenen Landeskrankenhäusern. Es wird aus dem Landesspitalfonds mitfinanziert, geht aber seinen eigenen Weg, denn die Dornbirner wollen sich vom Land nichts dreinreden lassen, auch wenn die Gemeindekassa noch so leer ist. Das Urteil des früheren VN-Chefredakteurs Gerold Riedmann im Jahr 2016: „“Eine aussterbende Gattung und eine Verschleuderung von Steuergeld“. Der Satz hat neun Jahre später nichts von seiner Gültigkeit verloren.

Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landes­direktor, lebt in Feldkirch.