Paasikivis erste Bilanz

VN-Kommentar von Walter Fink.
Die Bregenzer Festspiele schaffen das, was kein einziges Opernhaus der Welt auf die Bretter bringt: In zwei Jahren kamen 374.000 Menschen auf die Seetribüne, um Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ zu sehen. Wir wissen schon, dass der Vergleich nicht wirklich fair ist, denn kein Haus fasst fast 7.000 Plätze, die dann in zwei Jahren in etwa 50 Vorstellungen angeboten werden. Aber darin liegt eben die Kunst: Eine Oper so „schmackhaft“ zu machen, dass solche Massen sie sehen wollen. Wir wissen alle, dass die Seebühne für ausgewiesene Opernliebhaber nicht der Ort ist, an dem man große Oper sehen will. Auf der größten Bühne der Welt muss man massentaugliche Inszenierungen bringen, darf man sich nicht nur auf die Kunst, sondern muss sich auch auf spektakuläre, oft technisch ausgefeilte Bilder einlassen. Denn das ist für viele der Grund, die Seeaufführung zu besuchen. Aber: Man darf die Kunst nicht hintanstellen, man muss gute Sängerinnen und Sänger auf die Bühne bringen, zudem hat man mit den Wiener Symphonikern ein hochklassiges Orchester, das musikalisches Niveau garantiert. Das scheint fast alljährlich zu gelingen.
Den „Freischütz“ konnte die neue Intendantin Lilli Paasikivi von ihrer Vorgängerin Elisabeth Sobotka übernehmen – das andere Programm verantwortet sie aber selbst. Und da ist ihr doch ziemlich einiges gelungen, so viel gelungen, dass man von einem sehr erfolgreichen Start sprechen kann. Dazu hat Paasikivis durch ihre Art, auf die Menschen zuzugehen, schon ein höchst positives Image gewonnen. Nicht zuletzt ist das Publikum ihrer Idee, finnische Musik und Künstlerinnen und Künstler nach Bregenz zu bringen, voll gefolgt. Wenn an diesem Wochenende der letzte Vorhang bei den diesjährigen Festspielen fällt, dann werden etwa 249.000 Besucherinnen und Besucher die Drehkreuze passiert haben. Das ist nicht nur ein großer Erfolg, sondern tut den Festspielen auch finanziell gut. Das ist deshalb wichtig, weil die Subventionsgeber Bund, Land und Stadt beschlossen haben, die Subventionen um 30 Prozent zu kürzen.
Noch immer ist mir nicht klar, warum das das Festspielpräsidium ohne weiteren Kommentar, ohne gröberen Protest hingenommen hat. Ein Vergleich mit anderen Festivals, denen solches Schicksal (warum eigentlich?) erspart geblieben ist, hätte sich gelohnt. Gerade von einem künstlerischen Betrieb darf man sich etwas weniger Gefügigkeit und dafür mehr Widerstand gegen die Obrigkeit erwarten. Darin liegt doch auch der Sinn der Kunst: Etwas widerspenstiger, etwas mutiger, etwas kreativer als andere zu sein. Besonders schade ist ja, dass ausgerechnet das Burgtheater, mit dem man heuer einen neuen Anfang gewagt hatte, den künftigen Sparmaßnahmen zum Opfer fallen wird. Genau das Gegenteil hätte nämlich den Festspielen gutgetan: Mehr Theater, gerade solches, das zeigt, wie sich der Schwächere gegen den Starken wehrt. Von solcher Unbill abgesehen: Es war ein gutes erstes Jahr für Intendantin Lilli Paasikivi. Und es möge ihr – künstlerisch und wirtschaftlich – weiter so gut gelingen.