Rechtschreib- und Leseschwäche, aber jetzt die Matura im Visier

07.09.2025 • 15:37 Uhr
Rechtschreib- und Leseschwäche, aber jetzt die Matura im Visier
Mitunter bleibt nicht alles, was in der Schule gelernt wird, auch wirklich hängen. APA

Welttag der Alphabetisierung am 8. September. Zwei ehemals Betroffene wollen ermutigen.

Schwarzach Es sind Beispiele, die von Mut und dem festen Willen zeugen, für sich etwas zum Besseren zu verändern. Jahrelang schlugen sich Yasar Sari (51) und Thomas Walter (52) mit einer massiven Rechtschreibschwäche durchs Leben. „Zehn Wörter, 20 Fehler“, formuliert Walter bewusst überspitzt. Bei ihm kam noch eine Leseschwäche dazu. Der beruflichen Laufbahn war das alles andere als dienlich. Yasar Sari wollte jedoch weiterkommen und Thomas Walter seinen Job im Controlling behalten. Deshalb entschlossen sie sich, noch einmal von vorne zu beginnen. Die von den Volkshochschulen angebotenen Basisbildungskurse halfen dabei. „Ich bin sehr froh, dass ich diesen Kurs gemacht habe“, sagt Yasar Sari und ergänzt: „Man kann alles schaffen, wenn man will.“ Thomas Walter hat nach drei Basisbildungskursen jetzt sogar die Matura im Visier, ein anschließendes Psychologiestudium nicht ausgeschlossen.

Alphabetisierung
Yasar Sari war mit seiner Situation nicht mehr zufrieden und packte die Veränderung mutig an.

Keine Frage der Intelligenz

Es kostet Betroffene nach wie vor große Überwindung, sich dem Problem zu stellen. „Sie brauchen einen Anreiz, einen Anstoß“, weiß Stefan Fischnaller, Obmann der Vorarlberger Volkshochschulen. Laut Studien gibt es in Vorarlberg mehr als 26.000 Berufstätige, die selbst kurze Texte nur schwer bzw. kaum verstehen können. „Fehlende oder mangelhafte Schreib- und Lesekenntnisse haben nichts mit mangelnder Intelligenz, sondern meist mit einer unglücklichen Lerngeschichte zu tun“, stellt Fischnaller klar. Am 8. September, dem Welttag der Alphabetisierung, soll einmal mehr daran erinnert werden, dass Lesen und Schreiben ein Menschenrecht sind und es ein Angebot gibt, das neue Chancen eröffnet. Yasar Sari hat die Möglichkeit genutzt. „Ich konnte gut lesen, aber schlecht schreiben“, erzählt er. Dieses Wissen störte ihn immer mehr, auch, weil er sich beruflich verändern wollte.

Yasar ging ohne Abschluss von der Pflichtschule ab und schlug sich mit verschiedenen Tätigkeiten durch. Er hätte gerne eine Lehre gemacht, traute sich das jedoch nicht zu. Mit 38 reicht es ihm: Er wollte einen Abschluss sowie möglichst fehlerfrei schreiben können. In der Volkshochschule Götzis holte er den Pflichtschulabschluss nach und absolvierte einen Basisbildungskurs. Trotz der zusätzlich festgestellten Legasthenie kann Yasar Sari heute stolz von sich sagen: „Ich habe alles gut im Griff.“ Er holte die Lehre nach und arbeitet jetzt als Einzelhandelskaufmann bei Spar in Hohenems. Sein Appell: „Will man im Leben etwas ändern, muss man damit anfangen, sich etwas zuzutrauen und dranbleiben. Dann gehen Türen auf!“

Alphabetisierung
Thomas Walter drückte dem Job zuliebe noch einmal die Schulbank.

Der Situation gestellt

Anderen Mut machen möchte auch Thomas Walter, denn: „Es gibt immer einen Weg.“ Walter kam laut eigenem Bekunden gut durch die Grundschule. Doch dann sei viel Lernen auf der Strecke geblieben. Seit 2011 lebt der gebürtige Deutsche in Vorarlberg. Die Tätigkeit hier verlangte Lese- und Rechtschreibkompetenz: „Da ist mir so richtig aufgegangen, dass ich beides nicht beherrschte“, schildert Walter ungeschönt. Weil er den Job behalten wollte, stellte er sich der Situation, stieß im Internet auf die VHS-Basisbildungskurse und schrieb sich gleich für drei ein. Derzeit bereitet sich Thomas Walter zusätzlich in Abendkursen auf die Maturaprüfung im Jänner vor. „Es ist doof, nicht richtig lesen und schreiben zu können“, sagt er. Deshalb stellt er sich für jene, die, so wie er, daran zwar etwas ändern möchten, aber von Ängsten geplagt sind, als Gesprächspartner zur Verfügung.

Große Nachfrage nach Kursen

Die Nachfrage nach den Basisbildungskursen ist groß. „Wir würden gerne mehr machen, aber es scheitert aktuell an der Finanzierung“, bedauert Stefan Fischnaller. Die 30-Stunden-Kurse werden vom AMS, dem Bildungsministerium sowie dem Land gefördert und sind für die Teilnehmenden kostenlos. Fischnaller spricht von einem Sparen am falschen Platz. Projektleiter Bastian Kresser betont nachdrücklich: „Wer sicher lesen und schreiben kann, gewinnt Freiheit und Selbstvertrauen zurück, und das verändert das ganze Leben.“

Kursstart im Herbst in Götzis und Hohenems; unverbindliche, anonyme und vertrauliche Beratung unter Tel. 0664/3845301