„Die Schweizer gehen gelassener damit um“
Für Wahlexperten Neumann steht Österreich im internationalen Vergleich sehr gut da.
Schwarzach. Der Linzer Gunther Neumann hat als OSZE-Vizedirektor für die EU und die UNO unzählige Wahlen in Asien, Afrika, Lateinamerika und Südosteuropa beobachtet. Im VN-Interview erklärt er, wie Österreich im internationalen Vergleich dasteht. Außerdem schlägt er vor, dass die Stichwahl bereits gleichzeitig mit dem ersten Wahlgang ausgeführt wird.
Haben Sie so etwas wie derzeit in Österreich schon einmal erlebt?
Neumann: Exakt diese Situation noch nicht. Das heißt aber nicht, dass es das Schlimmste ist, was ich je erlebt habe. Es gibt viel gröbere Unregelmäßigkeiten und Probleme in anderen Ländern. Eine Verschiebung ist im internationalen Vergleich nicht einmalig.
Was ist denn bei uns genau passiert?
Neumann: Es ist eine Verkettung von verschiedenen Umständen, wobei man das Urteil des Verfassungsgerichtshofs kritisch sehen kann. Dieser Rechtsfundamentalismus gehört langfristig diskutiert, international ist diese enge Auslegung unüblich. Dass die Wahl nun verschoben wurde, hängt mit diesem Urteil zusammen.
Inwiefern?
Neumann: Die Verantwortlichen hatten Angst, dass die Wahl wieder angefochten wird. Und das wäre wirklich eine internationale Blamage. Es kommt eben ein Unglück selten alleine. Man hat schnell reagieren müssen.
Wie steht Österreich im internationalen Vergleich da?
Neumann: Immer noch sehr gut. International wurden schon oft Wahlen verschoben. Oder blicken wir auf unsere Umgebung. In Spanien wurde schon zweimal gewählt, eine Regierung gibt es immer noch nicht. In Frankreich haben wir eine instabile Situation, in Italien wird immer wieder gewählt.
Kämpfen andere Länder auch mit Problemen bei der Briefwahl?
Neumann: Es kommt immer wieder zu Problemen. Die Briefwahl ist nicht überall verbreitet. In Washington oder Oregon wird aber nur per Brief gewählt. Und die Schweizer gehen gelassener mit der Briefwahl um.
Schweizer sind gelassenere Briefwähler?
Neumann: Die Briefwahl wird nicht demagogisch zur Argumentation missbraucht, es gäbe eine Verschwörung, weil andere mehr Stimmen erhalten haben.
Wird die Zeit bis zum 4. Dezember ausreichen, um eine unanfechtbare Wahl zu organisieren?
Neumann: Es werden sicherlich alle möglichen Leute versuchen, etwas zu finden, um die Wahl anzufechten. Vor allem, wenn das Ergebnis nicht den Erwartungen entspricht. Aber ich glaube, Österreich ist auf dem guten Weg, eine gute und korrekte Wahl durchzuführen. Fehler werden jedoch immer passieren, das ist überall so, auch in anderen etablierten Demokratien. Irrtümer sind menschlich.
Nach dem Höchstgerichtsentscheid wurden Forderungen laut, ein zentrales Wählerregister zu installieren. Gibt es das in anderen Ländern?
Neumann: Das ist eher Usus und grundsätzlich sicherlich von Vorteil.
Wenn Sie könnten, was würden Sie am österreichischen Wahlsystem ändern?
Neumann: Ich stelle etwas zur Diskussion, was es zum Beispiel im angelsächsischen Raum gibt: Ich treffe auf dem Stimmzettel eine erste und gleich eine zweite Wahl. Das heißt „Instant-Runoff-Voting“. Man erspart sich den zweiten Wahlgang, damit das Wiederkäuen von Argumenten und viel Geld. Das System funktioniert ganz gut. Es tendiert eher zur Mitte und wirkliche Gegenargumente fallen mir nicht ein.
Herr Neumann, ist Österreich eine Bananenrepublik?
Neumann: Nein. Österreich ist weder technisch noch politisch noch sonstwie eine Bananenrepublik. Wir haben Herausforderungen in der Demokratie, wie alle Länder. Der Ausdruck ist unangebracht. Übrigens habe ich schon Wahlen in Peru beobachtet. Peru produziert viele Bananen und schafft es dennoch, Wahlen sehr korrekt durchzuführen.
Es gibt in anderen Ländern viel gröbere Probleme.
Gunther Neumann