Gerold Riedmann

Kommentar

Gerold Riedmann

Die letzten Tage

Politik / 24.05.2019 • 18:50 Uhr

Der Bundeskanzler weiß genau, dass es vorerst vorbei ist. Spürt man zwischen jedem Satz. Und er denkt zu wissen, dass er im Herbst, nach der Wahl, ins Kreisky-Zimmer zurückkehren wird. Dort hat er sich für die vergangenen 517 Tage im Bundeskanzleramt sein Büro eingerichtet. Ein nüchternes Stehpult, Zeitungen, kein Computer – der Kanzler orchestriert die Regierung per Smartphone. Montag, 16.30 Uhr, wird Kurz Kanzlerschaft vorerst Geschichte sein. Davon geht derzeit so ziemlich jeder in seinem Umfeld aus.

Trutzburg des Beleidigtseins

Die SPÖ und Pamela Rendi-Wagner können derweil aus der Trutzburg des Beleidigtseins nicht ausbrechen. Entweder es zerreißt die Regierung, oder es zerreißt die Sozialdemokratie, wie auch der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil im Gespräch mit den VN und den Bundesländerzeitungen schildert.


Türkis-Pink-Grün ist nicht nur modisch eine gewagte Kombination. Sie wäre das auch in der Politik.”

Die FPÖ leckt ihre Wunden. Selbst wenn das derzeit nicht immer klar scheint, wird sich der entlassene Innenminister Herbert Kickl in seiner Partei durchsetzen und gegen Sebastian Kurz einen bellend-aggressiven Rache-Wahlkampf führen. Am Montag herrscht Gewissheit, doch die politischen Gegner FPÖ und SPÖ werden in einem seltenen Akt der Gemeinsamkeit wohl dem Bundeskanzler am Montag das Misstrauen aussprechen.

Am Dienstag zu EU-Gesprächen nach Brüssel fährt entweder Kurz‘ Nachfolger oder niemand. Österreich müsste sich dann vertreten lassen, Mark Rutte aus den Niederlanden könnte das übernehmen. Beim Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs geht es zwei Tage nach den EU-Wahlen auch und vor allem ums Personal. Dass Österreich dort nicht vertreten sein könnte, ist kein Vorteil.

Es geht nicht um Österreich

Nun geht es der beleidigten SPÖ und der schwer verletzten FPÖ unter Kickl-Kommando vor allem um eines: Kurz aus dem Amt zu hieven. Dieses kurzfristige Vergnügen der Demütigung Kurz‘ wird vor allem der SPÖ mittelfristig schaden, weil sich der heutige Bundeskanzler dann voll auf den bevorstehenden Wahlkampf konzentrieren kann. Die SPÖ ist genau wie die Grünen überhaupt nicht für einen überzeugenden Nationalratswahlkampf gerüstet.

Und so sind alle Akteure – bis auf den wohltuend aufgeräumt-verantwortungsvollen Bundespräsidenten – mehr oder weniger von Parteiinteressen gelenkt, sie sind von parteiischen Strategien getrieben. Wohlwissend, dass am Montag ein Wahlkampf beginnt.

Am 15. September wird aller Voraussicht nach die Nationalratswahl stattfinden. Die Vorarlberger müssen dann wohl entweder am 8., 22. oder 29. September ein weiteres Mal zur Urne schreiten. Nach beiden Wahlen sind die Koalitionsverhandlungen spannend – denn die FPÖ wird in beiden Fällen absehbar nicht in der Regierung sitzen. Während der Vorarlberger Landeshauptmann sich seine Schmuckfarbe aussuchen kann, dürfte es auf Bundesebene zäh werden. Denn Türkis-Pink-Grün ist nicht nur modisch eine gewagte Kombination. Sie wäre das auch in der Politik.

Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.