Gegen die Angst und für das Maßhalten
Auf Papst Franziskus hört die Welt gerade nicht. „Dies ist die Zeit, um über unsere Lebensstile nachzudenken und um prophetische Handlungen zu unternehmen“, so lautet die Botschaft des Papst-SMS am 28. Februar. Worte von Franziskus, die man jetzt während der Fastenzeit täglich via Textnachricht beziehen kann, eine Aktion der katholischen Kirche. Einmal innehalten, das eigene Handeln reflektieren, mutig und mitmenschlich handeln – eine hehre, aber wünschenswerte Vorstellung für alle. Egal, ob man sich zu einer Religion bekennt oder nicht.
In der realen Welt fehlen uns das Maßhalten und die Gelassenheit derzeit besonders, auf allen Ebenen der Öffentlichkeit oder des politmedialen Betriebs. Da zeigt etwa der Umgang mit dem Coronavirus, dass die Gratwanderung zwischen möglichst genauer Information der Bevölkerung und Verunsicherung heikel ist. Wenn Expertinnen, Sicherheitskräfte und Politikpersonal in allen Medien und Fernsehsendern gefühlt den ganzen Tag über den Umgang mit dem Virus aufklären, analysieren, berichten, macht sich bei manchen automatisch ein Gefühl der Unsicherheit breit. Die knalligen Coronavirus-Opferzahlen-Countdowns mancher Boulevardzeitungen befeuern noch jene Angst und Aufregung, unter der viele leiden – für Klicks und Aufmerksamkeit.
In der realen Welt fehlen uns das Maßhalten und die Gelassenheit derzeit besonders, auf allen Ebenen der Öffentlichkeit.
Von Maßhalten und Gelassenheit kann derzeit leider auch im Umgang mit Menschen auf der Flucht keine Rede sein. Auf der griechischen Insel Lesbos, wo geflohene Menschen und Migranten unter inhumanen Bedingungen in Lagern leben, eskaliert die angespannte Lage wegen des Flüchtlingsstreits zwischen der Türkei und der EU, nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Grenze öffnen und Tausende Menschen von Istanbul an die Grenze zu Griechenland bringen ließ. Vergangene Woche versuchten sie, auf die griechische Seite zu gelangen, die Polizeikräfte dort setzten Tränengas ein. Auch gegen Kinder.
Das Versagen der EU
Gelassenheit heißt natürlich nicht Gleichgültigkeit. Das Leid der Menschen auf der Flucht kann uns in Europa nicht egal sein. Es geht jetzt um die Grundwerte, auf die sich die EU so gerne bezieht. „Wir erleben hier ein Versagen der europäischen Politik durch hohle Worthülsen“, sagt der Migrationsexperte Gerald Knaus vom Think Tank European Stability Initiative im Ö1-Interview; er warnt vor einer weiteren Eskalation in Griechenland, Chaos am Balkan oder Pogromen gegen Asylsuchende und Migranten. Neben einem gemeinsamen Vorgehen der EU-Staaten, auf das man sich bisher nicht einigen konnte, muss man nun dringend humanitäre Hilfe vor Ort leisten, Griechenland unterstützen und die Situation in den Flüchtlingslagern grundsätzlich verbessern. Und einmal die Angst vor den anderen vergessen.
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