Der Mensch hinter der Risikogruppe
Unsere tägliche Regierungspressekonferenz zu Corona gib uns heute. Dabei ist es für Sebastian Kurz, Werner Kogler und ihre Regierungstruppe eine schwierige Gratwanderung zwischen Aufklärung, Verständnis, Appell an das Verantwortungsbewusstsein, Druck auf die Bevölkerung – denn auf viele drängende Fragen muss man derzeit antworten: Wir wissen es noch nicht. Ein ungebräuchlicher Satz im Politikbetrieb. „Jetzt ist die Ruhe vor dem Sturm“, sagt Bundeskanzler Kurz am Montag bei der Verkündung neuer Verschärfungen, wie der Maskenpflicht in Supermärkten – zumindest der Sturm ist gewiss.
Es ist jetzt nicht die Zeit für Verharmlosungen, es ist jetzt nicht die Zeit für Panikmache. Die Tatsachen, zumindest jene, die Expertinnen und Experten bereits festmachen können, sind ernst genug.Es geht eben nicht um das psychologisch nachvollziehbare Wunschdenken und die Gefühlslagen mancher: Die Gefahr des Coronavirus würde zu sehr hochgespielt, die Maßnahmen der Politik wären zu scharf; die größte Gefahr betreffe ohnehin die Risikogruppen. Also die irgendwo gut abschotten vor der Welt und alles ist gut.
Wo bleibt die Empathie?
Wer so denkt, will die Menschen hinter der Risikogruppe nicht sehen. Die Risikogruppe, das sind Menschen, die genauso zu unserer Gesellschaft gehören wie alle anderen. Ältere Menschen, Menschen mit Vorerkrankungen oder Handicaps. Wie geht es ihnen jetzt, vielfach allein, in Wohnungen ohne Balkon und Garten, oft völlig isoliert von der Umgebung, zunehmend deprimiert? Wo bleibt die Empathie für sie, wer kann sich in so eine Situation hineinversetzen? Mit den eigenen Eltern oder Großeltern mitzuempfinden, sich zu sorgen, ist ja noch keine große Anstrengung. Die anderen hinter der Risikogruppe nicht auszublenden, wäre allerdings auch wichtig.
Die Risikogruppe, das sind Menschen, die genauso zu unserer Gesellschaft gehören wie alle anderen.
Für viele Leute, die gar nicht mehr ins Freie dürfen, könnte es der letzte Frühling sein, den sie erleben, wenn sie nicht total geschützt sind. Diese Menschen mit unserem Verhalten in der Coronakrise vor dem Virus zu beschützen, muss das oberste Ziel sein. Ein anderes Ziel sollte aber sein, sie nicht als Risikogruppe der Einsamkeit zu überlassen. Nicht jede und jeder will und kann im Ernstfall bei der Telefonseelsorge oder bei einem psychiatrischen Notdienst anrufen, um nicht zu verzweifeln.
Ein Telefonat, ein Gespräch von Fenster zu Fenster, einen Brief oder ein paar Blumen schicken: Man könnte in seinem eigenen Umfeld über die Familie hinaus ein wenig mehr auf die anderen schauen, die jetzt in noch größerer Unsicherheit leben müssen als man selbst. Vielleicht hilft das auch bei Verarbeitung des Gefühls der Hilflosigkeit, das dieser Ausnahmezustand mit sich bringt.
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