Warum Schweden einen Sonderweg geht

Politik / 01.04.2020 • 19:30 Uhr
Warum Schweden einen Sonderweg geht
Das Leben geht in Stockholm noch mehr oder weniger seinen gewohnten Gang. AFP

Das skandinavische Land versucht das Coronavirus mit moderaten Maßnahmen in Schach zu halten.

Stockholm Im Kampf gegen die Coronakrise setzen die meisten Staaten auf strenge Regeln: Geschäfte, Restaurants und Schulen sind geschlossen, die Grenzen dicht. Nicht so in Schweden. Das Land geht einen Sonderweg. Einkaufszentren, Gaststätten und Cafés ziehen nach wie vor Besucher an. Nur Universitäten und Gymnasien haben Vorlesungen und Unterricht ins Internet verlagert, Kindergärten und Volksschulen bleiben geöffnet. Selbst in den meisten Skigebieten läuft alles wie immer. Statt auf Verbote setzt Stockholm auf Empfehlungen. Die Menschen sind dazu angehalten, soziale Kontakte zu meiden. Wer kann, arbeitet von zu Hause aus. Bei Symptomen, und sei es nur eine Erkältung, empfiehlt die schwedische Gesundheitsbehörde, die eigenen vier Wände nicht zu verlassen. Zudem gibt es besondere Regeln für Risikogruppen.

Umstrittener Weg

Dieser Sonderweg ist mit dem Namen Anders Tegnell verbunden, dem obersten Epidemiologen des Zehn-Millionen-Einwohner-Landes. Die Ziele seien die gleichen wie anderswo, sagte Tegnell im Interview mit „Cicero“. „Wir versuchen, die Verbreitung des Virus zu reduzieren.“ Die gewählten Maßnahmen seien aber abhängig von der Gesetzeslage, dem kulturellen Hintergrund und der Wissenschaft.

Diese Herangehensweise ist umstritten. In einem offenen Brief warfen rund 2000 Wissenschaftler den Behörden vor, unverantwortlich zu agieren und forderten mehr Transparenz, denn auch in Schweden steigen die Infektionszahlen kontinuierlich an. Mit Stand Mittwochnachmittag haben sich mehr als 4550 Menschen angesteckt. 200 sind bereits verstorben. Die Regierung schlug zuletzt einen etwas strikteren Pfad ein. Besuche in Altenheimen sind ab sofort untersagt. Außerdem wurde die erlaubte Besucherzahl für Veranstaltungen auf 50 gesenkt. Regierungschef Stefan Löfven warnte die Bevölkerung, dass viele harte Wochen und Monate zu erwarten seien.

Armin Fidler, ehemaliger Experte von WHO und Weltbank und nunmehriger Professor am MCI Innsbruck, nennt im VN-Podcast „Corona-Update“ vor allem zwei Ansätze im Kampf gegen das Coronavirus. Es gibt einerseits die „Hammer und Tanz“-Strategie von Österreich und den meisten anderen Ländern. „Hammer“ steht für kurze strenge Maßnahmen, um die Ausbreitung einzubremsen und einen Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu verhindern. In der „Tanz“-Phase kommt es zur vorsichtigen Rücknahme der einzelnen Maßnahmen. Andere Länder wie Schweden streben eine zügigere Vorgangsweise an. Möglichst viele Menschen sollen sich anstecken, so dass es zur sogenannten Herdenimmunität kommt. Dieses Konzept verfolgten zunächst auch Großbritannien und die Niederlande, schwenkten dann aber radikal um.

Wir werden erst im Rückblick bewerten können, wer recht gehabt hat.

Armin Fidler, Experte für öffentliche Gesundheit

„Wir werden erst im Rückblick bewerten können, wer recht gehabt hat und wer nicht“, sagt Fidler. Er verweist auf die Balance, die Krankheit in den Griff zu bekommen, die Todeszahlen niedrig zu halten und auf der anderen Seite die Gesellschaft und die Wirtschaft nicht abzuwürgen. „Das sind unglaublich schwierige politische Entscheidungen, die von den Experten nur sehr unvollständig gestützt werden können.”