Das Missverständnis: Wien ist nicht die SPÖ
Zwei Männer, Stirn an Stirn. „Der Kampf um Wien – Häupl gegen Haider“ titelte „profil“ 2001 zu der wilden Foto-Montage. Das „Duell um Wien“ auszurufen, ein beliebter Sport. Bei den Auseinandersetzungen zwischen den FPÖ-Herausforderern (zuerst Haider, dann Heinz-Christian Strache) und dem SPÖ-Statthalter Häupl kam man sich seit den 2000er-Jahren manchmal vor wie in einem missglückten Fin-de-Siècle-Roman. Nur dass man hier nicht mit dem Säbel focht, sondern mit dem Holzprügel um sich drosch, vor allem die Freiheitlichen. Im heraufdräuenden Wiener Wahlkampf geht sich Blau gegen Rot mangels FPÖ-Stärke nicht mehr aus, also gibt es jetzt Türkis gegen Rot. ÖVP-Innenminister Karl Nehammer greift SPÖ-Gesundheitsstadtrat Peter Hacker in Sachen Corona-Bekämpfung an – so weit, so unoriginell.
Ein politisches Duell dient immer beiden Seiten, die Aufmerksamkeit richtet sich auf die Kombattanten. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig kann sich bei der ÖVP bedanken. Zur Mobilisierung seiner Truppe braucht er einen Angreifer, derzeit liegt die SPÖ in Umfragen um die 37 Prozent. Für die Wiener Türkisen von Gernot Blümel, im Hauptberuf Finanzminister, ist die Attacke auf die rot geprägte Stadt guter Treibstoff. Man könnte die knapp zehn Prozent von 2015 jedenfalls verdoppeln.
Gegenseitige Abneigung
Allerdings unterliegen beide Parteien einem Missverständnis: Wien ist nicht die SPÖ. Auch wenn die Sozialdemokraten aufgrund langer Regentschaft und historischer Leitungen noch immer das Selbstbild von der Stadt und der Partei als Einheit pflegen. Und sich damit zur Schutzherrin aller in der Stadt aufwerfen, die sie gegen das „Wien-Bashing“ schützen wollen, selbst wenn viele solche Manöver gar nicht persönlich nehmen. Die Volkspartei hingegen verärgert mit ihren Angriffen in der Stadt Lebende, weil man nicht wie ein Rudel uneinsichtiger Kinder hingestellt werden möchte, denen man erklären muss, wie man sich in der Coronakrise zu benehmen hat.
Ein politisches Duell dient immer beiden Seiten, die Aufmerksamkeit richtet sich auf die Kombattanten.
Das Duell spiegelt auch die historischen Konflikte rund um die Bundeshauptstadt wider. Und zeigt exemplarisch, wie groß die Abneigung zwischen SPÖ und ÖVP seit den Kanzlerjahren von Wolfgang Schüssel ist, Wien positionierte sich als Gegenmodell. Viele bestimmende Personen in der Volkspartei unter Sebastian Kurz wurden in der Schüssel-Zeit politisch sozialisiert. Das Missfallen gegenüber dem Bild des übermächtigen roten Wiens, das so wohl nur mehr in den Köpfen mancher existiert, ist geblieben. Das heißt aber nicht, dass hinter dem Schaukampf nicht andere Interessen existieren würden. Die Achse zwischen Bürgermeister Ludwig und Wiens Wirtschaftskammer-Präsident Walter Ruck ist stark, eine SPÖ-ÖVP-Regierung möglich – nach dem Duell.
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