Kathrin Stainer-Hämmerle

Kommentar

Kathrin Stainer-Hämmerle

Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle: “50 Prozent sind nicht genug”

Politik / 17.09.2020 • 21:00 Uhr

In sechs Gemeinden geht der Wahlkampf in die Verlängerung. Diese Rennen waren voraussehbar knapp. Letztlich konnte auch keiner der Bürgermeisterkandidaten im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit erringen. Das Erstaunlichste daran: Ein Duell an der Spitze müsste viele Wähler mobilisieren, doch das Gegenteil war der Fall. Sowohl Bregenz mit 50 als auch Lochau mit 48 Prozent schnitten bei der Wahlbeteiligung unterdurchschnittlich ab. Feldkirch war mit 44 Prozent gar der Tiefpunkt vom ganzen Ländle. Hard mit 57 und Bludenz mit 61 Prozent retteten die Ehre beim Wählerzuspruch auch nicht. Lediglich Lech stach positiv heraus: Acht von zehn Wählern gaben ihre Stimme ab. Entscheidend ist also weniger das offene Rennen als die Größe der Gemeinde. Das hat einerseits mit sozialer Kontrolle zu tun, andererseits mit einer starken Identifikation zur Gemeinschaft. Die höchste Beteiligung verzeichnete Damüls. Hier stand nur eine Liste zur Auswahl und der Bürgermeister wird statt von den Bürgern vom Gemeinderat gewählt.

Viele suchten beim Corona-Virus den Schuldigen am sinkenden Wahlinteresse. Auch das ist nur die halbe Erklärung. Wobei ein merkwürdiger Zufall zugunsten der Regierenden auffiel: Am Wahlsonntag leuchtete die Ampel dem ganzen Land noch in beruhigendem Grün. Einen Tag später sprang sie in zwei Bezirken auf Gelb und in zwei gar auf alarmierendes Orange. Nun haben die Wähler wirklich Grund zu Hause zu bleiben – oder noch schnell eine Wahlkarte zu beantragen.

Was also tun? Polarisierende Rhetorik und Skandalisierung politischer Themen erhöhen die Aufmerksamkeit und die Betriebstemperatur mancher Stammtischdiskussion. Aber streitende Bürgermeisterkandidaten schädigen das Vertrauen in die Politik und sind besonders in Pandemiezeiten nicht gewünscht. Die erst 2004 abgeschaffte Wahlpflicht wiedereinzuführen, widerspräche dem Grundsatz der freien Wahl, der auch das Verweigerungsrecht umfasst. Die elektronische Stimmabgabe erleichtert ähnlich wie die Briefwahl zwar den Wahlvorgang, hat aber in keinem Land dauerhaft zu einer höheren Wahlbeteiligung geführt. Und ein stärkeres Persönlichkeitswahlrecht wäre gut für Demagogen, aber schlecht für Frauen. In den 13 Gemeinden mit Mehrheitswahl finden sich nur vier mit mehr als einer Frau unter den ersten neun Gewählten.

Eine Demokratie hält 50 Prozent Nicht-Wahlbeteiligung aus. Unter der Bedingung, dass die Enthaltung auf alle Gruppen von Jung bis Alt, von Arm bis Reich, von Stadt und Land gleich verteilt ist und alle das Ergebnis dennoch akzeptieren. Die politischen Eliten sollten sich aber mit 50 Prozent nicht zufriedengeben. Offensichtlich braucht es mehr Angebote zur Beteiligung an Politik. Statt langatmigen Parteisitzungen ergebnisorientierte Projektworkshops etwa. Oder statt belehrender Informationsveranstaltungen die politischen Vertreter öfter in der Zuhörerrolle.