Kathrin Stainer-Hämmerle

Kommentar

Kathrin Stainer-Hämmerle

Blümels Streisand-Effekt

Politik / 30.09.2020 • 08:29 Uhr

Der Wiener Wahlkampf schwappt über Österreich. Dass es sich um die wichtigste Wahl dieses Jahres handelt, ist eher der Wiener Beheimatung vieler Medien geschuldet. Obwohl die Konkurrenz nicht sehr groß ist: Heuer wählten das Burgenland einen roten Landeshauptmann mit absoluter Mehrheit und Niederösterreich, Steiermark und Vorarlberg ihre Gemeindevertreter. Doch jede Wahl hinterlässt Spuren im politischen System.

Ebenso wie Wahlkämpfe, deren Intensität – im Gegensatz zur Möglichkeit der freien Wahl – der Demokratie oft weniger zuträglich sind. Momentaner Höhepunkt mit österreichweiter Wirkung ist der Konflikt zwischen Gernot Blümel und Robert Menasse. Ein wütendes, jedoch weder inhaltlich noch stilistisch besonders geglücktes Posting des Schriftstellers wurde umgehend von der facebook-Seite des VP-Spitzenkandidaten gelöscht. Schließlich dienen diese Plattformen der positiven Eigendarstellung und sollen nicht der Verbreitung von kritischen, ja angriffigen Texten dienen.

Was Blümel unterschätzt hat, war der Barbara Streisand Effekt. Erst durch die Löschung wurde der Text fleißig geteilt. Öffentliche Aufmerksamkeit fand nicht die Kritik Menasses, sondern der Versuch Blümels sie zu unterdrücken. Politiker im Wahlkampf können sich ihre virtuellen Freunde nicht nach Belieben aussuchen, selbst Ablehnung müssen sie argumentativ begegnen statt zu entfernen.

Öffentliche Aufmerksamkeit fand nicht die Kritik Menasses, sondern der Versuch Blümels sie zu unterdrücken.

Unglücklich war jedenfalls die Begründung, man wollte „NS-Gedankengut keinen Raum bieten“. Menasse ist zu Recht empört, dass ihm mit dieser Unterstellung Sinn und Worte verdreht wurden.  Offensichtlich reicht es irgendein Reizwort zu verwenden, egal in welchem Zusammenhang. Alles wo Adolf, Hitler, Nationalsozialismus, NS-Zeit, KZ, Juden oder Antisemitismus vorkommt wird einfach gelöscht. Wie soll aber über eine Zeit, aus der wir heute noch dringend Lehren ziehen sollten, überhaupt noch gesprochen werden, wenn permanent die Nazi-Keule über allem schwingt?

Facebook löscht Kunstwerke, wenn darauf eine weibliche Brustwarze zu erkennen ist. Politische Parteien können sich nicht auf Anweisungen für Maschinen berufen, selbst wenn diese zur künstlichen Intelligenz zählen. Die ÖVP folgt der Regel, beleidigende, verleumderische, rassistische und extremistische Kommentare umgehend zu löschen und strafrechtlich relevante Inhalte, wie Morddrohungen oder Hetze gegen Minderheiten der Polizei zu melden.

Das ist lobenswert, wenn sie dies aber ernst meint, hätte sie statt Menasse die Plakate der Wiener FPÖ ins Visier nehmen müssen, statt nur deren Wähler. Der Bund sozialdemokratischer Akademiker hat bereits eine Sachverhaltsdarstellung wegen des Verdachts der Verhetzung eingebracht. Die Gerichte werden darüber wohl erst nach dem Wahltag entscheiden. Die Wählerinnen und Wähler sprechen schon vorher ihr Urteil.