Auch Kurz ist fehlbar
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) müsse sich die Frage gefallen lassen, was er zuletzt beruflich gemacht habe, sagte der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier am vergangenen Sonntag in der Nachrichtensendung „ZIB 2“. Anlass: Seit deutlich geworden ist, wie wenig Impfstoff zur Verfügung steht, tut Kurz so, als seien er und 8,9 Millionen weitere Menschen in Österreich betrogen worden; als hätten ausschließlich Beamte des Gesundheitsministeriums gemeinsam mit „der EU“ unverzeihliche Fehler gemacht. Schlimmer noch: Er gibt vor, mit all den Entscheidungen nie etwas zu schaffen gehabt zu haben.
„Der Kanzler könnte sich entspannen: Niemand kann in dieser Pandemie alles richtig machen.“
Das muss man sich erst einmal trauen. Immerhin hat sich derselbe Kanzler bisher ganz anders inszeniert: Er, der sich heute über einen „Basar“ auf europäischer Ebene empört, ließ am 16. Dezember den Eindruck vermitteln, dass er bei einem Telefonat mit Biontech/Pfizer 900.000 Impfdosen fürs erste Quartal herausgeschlagen habe. Er, der jetzt einen Beamten an den Pranger gestellt hat, teilte einst mit, dass er persönlich „laufend in Gesprächen mit der Europäischen Kommission sowie den involvierten Pharmaunternehmen stehe, um ein Maximum an Impfdosen für Österreich abrufen zu können“. Das passt hinten und vorne nicht zusammen.
Das Spiel, das der Kanzler hier treibt, ist durchschaubar: So lange es gut und vielversprechend läuft, ist er gerne dabei. Kippt die Stimmung, hat er nichts mehr damit zu tun. Das war bei „Hygiene Austria“ so und ist jetzt nicht anders. Es ist sogar noch schlimmer: Kurz will nicht nur nichts mehr damit zu tun haben, zur eigenen Entlastung holt er auch noch einen Sündenbock hervor: Clemens Martin Auer, Spitzenbeamter im Gesundheitsressort, soll an allem Unglück auf nationaler Ebene allein schuld sein.
Selbstschädigend
Das ist überflüssig und letzten Endes auch selbstschädigend: Niemand kann in dieser Pandemie alles richtig machen. Wie auch? Zu oft gibt es keine Gewissheit darüber, was am besten sein könnte. Das war auch bei den Impfstoffen so: Als die Bestellungen im vorigen Jahr starteten, gab es noch nicht einmal welche.
Sebastian Kurz könnte sich entspannen und aufhören, immer nur auf seine Popularitätswerte zu achten bzw. unfehlbar wirken zu wollen. Das kann nicht gut gehen. Im Gegenteil: Zumal jeder Mensch sieht, wie unmöglich das ist, schwächt es seine Glaubwürdigkeit. Außerdem: Es trägt dazu bei, dass er irgendwann nicht nur unterwürfige Mitarbeiter, sondern auch Beamte um sich hat, die sich wegducken und Eigeninitiative genauso unterlassen wie Hinweise auf mögliche Schwächen oder Fehlentwicklungen. Vor allem aber steht es dem großen Ganzen im Weg: Über den längerfristigen Erfolg des Sebastian Kurz entscheidet nicht, ob er an jedem einzelnen Tag nur Applaus erntet, sondern wie Österreich am Ende dieser Krise dasteht. Dazu könnten Fehler sogar sehr nützlich sein, sofern die Bereitschaft besteht, sich zu ihnen zu bekennen und aus ihnen zu lernen.
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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