Johannes Huber

Kommentar

Johannes Huber

Seelische Vernichtung

Politik / 28.05.2021 • 17:30 Uhr

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat Wort gehalten. „Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen“, erklärte er vor fünf Jahren zum Umgang mit Geflüchteten, die nach Europa kommen wollen. In den VN hat die Dornbirnerin Julia Falkner nun die Verhältnisse auf Lesbos geschildert, wo sie für „Ärzte ohne Grenzen“ tätig ist, und dabei auch von einem Mädchen berichtet, das seit Monaten nicht mehr spricht und sich kaum noch bewegt. Diagnose: Resignationssyndrom. Es hat sich aufgegeben, im Alter von gerade einmal acht Jahren.
Die Verzweiflung ist groß: „Ich kann da nicht mehr länger zusehen. Wir müssen dringend handeln“, erklärte Justizministerin Alma Zadić (Grüne) im „Vorarlberg LIVE“-Interview. Allein: Was will sie tun? Ihr Regierungskollege, Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), hat Rufe nach Aufnahme von Menschen aus Lesbos als hysterisches „Geschrei“ abgetan. In der Volkspartei gibt es vom Boden- bis zum Neusiedleresse kein ernsthaftes Bemühen, Überzeugungsarbeit in den eigenen Reihen zu leisten. Landeshauptleute, die sonst bei jeder Gelegenheit auf den Tisch hauen, dass es kracht, halten sich peinlich berührt zurück.
Die Grünen haben sich auf einen verhängnisvollen Koalitionsvertrag eingelassen: Sie haben der ÖVP nicht nur zugestanden, ihre Flüchtlingspolitik fortzusetzen, sondern auch, eine allenfalls erforderlich erscheinende Verschärfung gemeinsam mit den Freiheitlichen durchzuführen. Zadić sollte sich vor diesem Hintergrund nicht wundern über die hässlichen Bilder.

Was auf den griechischen Inseln passiert, ist auch eine österreichische Schande: Traumatisierten wird in den Lagern allenfalls nur symbolisch geholfen. Gerettet werden sie nicht.

Was auf den griechischen Inseln passiert, ist auch eine österreichische Schande: Gerettet werden sie nicht.

Innenpolitisch motiviert

Diese Unmenschlichkeit ist in gewisser Weise nachvollziehbar. Wobei es sich um eine glatte Themenverfehlung handelt, das Motiv darin zu suchen, dass man alles vermeiden möchte, was Syrern, Afghanen und anderen ein Signal sein könnte, über den Mittelmeerraum nach Europa nachzufolgen. Es geht schlicht um Innenpolitisches.
Die neue ÖVP hat mit ihrem Kurs in den vergangenen Jahren mehr als 250.000 Ex-FPÖ-Wähler und damit auch Macht gewonnen. Umso mehr sieht sie sich gerade heute, da sie von einer Korruptionsaffäre zur nächsten stolpert, gezwungen, diese Massen bei Laune zu halten. Sonst ist sie verloren. Das ist Teil eines unheilvollen Paktes.
Was nicht bedeutet, dass Unmenschlichkeiten, die damit einhergehen, zu dulden sind. Im Gegenteil, es zeigt eher, dass man noch viel lauter werden muss, wenn man etwa die seelische Vernichtung eines achtjährigen Mädchens nicht akzeptieren kann.

Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.