Peter Bußjäger

Kommentar

Peter Bußjäger

1G

Politik / 27.08.2021 • 06:29 Uhr

Obwohl der Erfolg der Corona-Impfungen nicht zu leugnen ist, verharrt die Impfquote in Österreich weiterhin auf einem zu niedrigen Niveau, gerade auch im Vergleich mit anderen europäischen Staaten. Der Starrsinn, mit dem sich viele Menschen bei uns gegen eine Impfung sperren, ist keine Auszeichnung für das Bildungssystem, sondern Ausdruck einer verbreiteten Wissenschaftsfeindlichkeit und eines hohen Ausmaßes an Konsumation „alternativer Fakten“.

„Aus diesem Grund kann es notwendig werden, die Genesenen von den Freiheiten, die Geimpfte genießen, auszuschließen.“

Die diskutierte Einführung der so bezeichneten 1G-Regel etwa in der Nachtgastronomie oder bei Veranstaltungen wird von den Ungeimpften wütend bekämpft. Immer wieder bringen sie das Gleichheitsgebot ins Spiel, ohne zu bedenken, dass Gleichheit nicht nur heißt, Gleiches gleich, sondern vor allem auch Ungleiches ungleich zu behandeln. Geimpfte und Ungeimpfte unterscheiden sich nach den Aussagen medizinischer Expertinnen und Experten vor allem dadurch, dass die ersteren typischerweise nicht so schnell und wenn, dann in aller Regel weniger schwer erkranken. Also ist es gerechtfertigt, durch eine Schlechterstellung von Ungeimpften diese zu veranlassen, sich ebenfalls impfen zu lassen, weil sonst die Pandemie nie endet.

Der Widerstand der Ungeimpften gegen die von ihnen so beklagte Diskriminierung ist auch unter folgender Überlegung unberechtigt: Wie kommen die Geimpften dazu, sich von einer leider zu großen Minderheit von Impfgegnern in Geiselhaft nehmen zu lassen und im kommenden Herbst Einschränkungen, womöglich sogar einen neuerlichen Lockdown akzeptieren zu müssen? Gerade die Geimpften haben das Recht, von Einschränkungen befreit zu werden, weil sie daran mitwirken, die Ausbreitung des Virus einzudämmen, während die Impfgegner durch ihr Verhalten das Gegenteil bewirken.

Das einzige wirkliche (rechtliche) Problem der 1G-Regel ist, dass sie die Genesenen gleich wie die sonstigen Ungeimpften behandelt. Aber auch dafür gibt es eine sachliche Rechtfertigung: Wenn die Genesenen gleich wie die Geimpften behandelt werden, besteht das Risiko, dass Impfgegner lieber eine Infektion in Kauf nehmen, als sich impfen zu lassen. Aus diesem Grund kann es notwendig werden, die Genesenen von den Freiheiten, die Geimpfte genießen, auszuschließen. Wenn der Bund zögert, die 1G-Regel einzuführen, wäre es umso wichtiger, dass die Landeshauptleute an seine Stelle treten und sie in den Ländern umsetzen.

Peter Bußjäger ist Direktor des ­Instituts für Föderalismus und ­Universitätsprofessor in Innsbruck.