Polen wirft Kommission Erpressung vor

EU-Ministerin Edtstadler sieht neue Dimension erreicht.
Strasburg Die polnische Regierung droht die Europäische Union in eine schwere Krise zu stürzen. Regierungschef Mateusz Morawiecki machte am Dienstag im Straßburger Europaparlament deutlich, dass sein Land im Streit um das Verhältnis von EU-Recht und nationalem Recht nicht einlenken wird. Der nationalkonservative Ministerpräsident warf der EU-Kommission „Erpressung“ vor. Man werde nicht zulassen, dass dies als Mittel der Politik gegenüber EU-Staaten eingesetzt werde, sagte er an die Adresse von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Die Kompetenzen der EU haben ihre Grenzen, wir können nicht länger schweigen, wenn sie überschritten werden.“
Von der Leyen drohte Polen angesichts der Justizreformen mit Sanktionen. „Wir können und wir werden es nicht zulassen, dass unsere gemeinsamen Werte aufs Spiel gesetzt werden“, sagte sie. Ihre Behörde werde die Rechtsstaatlichkeit mit allen Mitteln verteidigen. Eine derart offen ausgetragene Konfrontation zwischen Kommission und einem EU-Staat im Europaparlament hat Seltenheitswert – und zeigt, wie ernst die Lage aus Brüsseler Sicht ist.
Sanktionen möglich
Als konkrete Möglichkeiten zum Handeln nannte von der Leyen nun ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren, die Nutzung eines neuen Verfahrens zur Kürzung von EU-Mitteln sowie die erneute Anwendung des sogenannten Artikel-7-Verfahrens. Letzteres könnte zum Entzug der polnischen Stimmrechte bei EU-Entscheidungen führen.
Nach Ansicht von Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) hat der Streit mit Polen eine neue Dimension erreicht. Warschau stelle alles infrage, „was wir uns in den letzten Jahrzehnten erarbeitet haben an Glaubwürdigkeit, Zusammenarbeit und auch Zukunftsfähigkeit“, erklärte Edtstadler am Dienstag in Luxemburg am Rande des Treffens mit ihren EU-Amtskollegen. Das Zurückhalten von EU-Geldern hielte sie für ein sehr effizientes Mittel. „Wenn man hier eine Stopp-Taste drückt, halte ich das für den besten Weg, auch um zu zeigen, dass es uns ernst ist.“ Gleichzeitig forderte Edtstadler, den Dialog aufrecht zu halten. „Wir müssen alle einbinden und unsere Werte klar vermitteln“, erklärte auch schon Außenminister Michael Linhart am Sonntag im VN-Gespräch. Er sei nie ein großer Freund von Sanktionen gewesen, „aber manchmal muss man eine klare Sprache sprechen, wenn es notwendig ist“.
Die EU-Abgeordneten von ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS reagierten empört auf Polens Position und forderten am Dienstag ein Vertragsverletzungsverfahren und finanzielle Sanktionen. Anders die FPÖ-Sicht: Delegationsleiter Harald Vilimsky bezeichnete den Umgang mit Polen als Anmaßung, die EU solle sich mit ihren eigenen Rechtsverletzungen beschäftigen.
„Die Kompetenzen der EU haben ihre Grenzen, wir können nicht länger schweigen.“