Peter Bußjäger

Kommentar

Peter Bußjäger

Aktenleaks

Politik / 29.10.2021 • 07:00 Uhr

Ein Gerichtsakt ist in den meisten Fällen ziemlich unspektakulär: Eine Behörde trägt Informationen zusammen, die irgendwann dazu führen, dass eine Entscheidung getroffen wird.

Ein Beschuldigter wird verurteilt oder freigesprochen, einer Klage wird stattgegeben oder nicht. Details aus den Akten gelangen selten in die Öffentlichkeit. So bleiben dieser manche peinlichen Details aus einem Scheidungsverfahren oder anderen Streitigkeiten erspart.

Die Akten haben offenbar zu laufen gelernt und tauchen plötzlich vollumfänglich bei manchen Journalisten wieder auf.“

Im Strafverfahren hat die mündliche Verhandlung die Funktion, der Öffentlichkeit notwendige Informationen dahingehend zu liefern, ob ein bestimmter Täter die ihm vorgeworfene Tat begangen hat. Stehen intime Details zur Diskussion, kann die Öffentlichkeit ganz oder teilweise ausgeschlossen werden. Der Inhalt der Akten bleibt der Öffentlichkeit im Übrigen zu Recht verborgen, es geht um den Schutz aller Tatbeteiligten.

Bei den aktuellen Ermittlungen gegen Sebastian Kurz und die Personen aus seinem Umfeld scheint es allerdings anders zu sein. Die Akten haben offenbar zu laufen gelernt und tauchen plötzlich vollumfänglich bei manchen Journalisten wieder auf. Wie das Leben so spielt, finden sie auch den Weg aus den Redaktionen wieder hinaus, sodass mittlerweile nicht nur die Chatverläufe der Beschuldigten, sondern auch die Liebesbeziehungen in der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft öffentlich diskutiert werden.

Das alles könnte man sich ersparen, wenn die Akten dort blieben, wo sie hingehören, nämlich bei der ermittelnden Behörde. Natürlich soll die Öffentlichkeit erfahren, dass und aus welchen Gründen gegen den ehemaligen Bundeskanzler ermittelt wird. Aber diese Information in ausreichendem Umfang zu geben, ist ausschließlich Aufgabe der Staatsanwaltschaft oder der Gerichte. Aktenleaks werden häufig von Verfahrensbeteiligten begangen, manchmal sind sie jedoch das Resultat einer Straftat: Bruch der Amtsverschwiegenheit vonseiten der Behördenorgane, eventuell gekoppelt mit Bestechlichkeit.
Zuweilen wird argumentiert, dass erst die Veröffentlichung der Akten sicherstelle, dass die Beschuldigten überhaupt gerichtlich verfolgt werden. Wer diese Auffassung vertritt, hat offenbar wenig Vertrauen in den viel beschworenen Rechtsstaat.

In Deutschland ist die Veröffentlichung von Gerichtsakten, bevor sie in der öffentlichen Verhandlung vorgetragen wurden, zu Recht strafbar. Und zwar deshalb, weil sie geeignet sind, Strafverfahren zu beeinflussen und Druck auf die Gerichte und Staatsanwaltschaften aufzubauen.

Peter Bußjäger ist Direktor des ­Instituts für Föderalismus und ­Universitätsprofessor in Innsbruck.