Gerold Riedmann

Kommentar

Gerold Riedmann

Verlängerung durch Verländerung

Politik / 03.12.2021 • 22:45 Uhr

Mit der neuen Familienaufstellung hat die ÖVP der Regierung vor allem eines gebracht: Sie hat ihr mehr Zeit erkauft. Es ist tatsächlich etwas unwahrscheinlicher geworden, dass in allernächster Zukunft neu gewählt wird.

Das alte Machtgefüge der ÖVP bietet kurzfristig Stabilität. Statt einem sind es nun fünf Schutzpatrone und eine Schutzpatronin. Wenn Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Abend die Vergabe der Posten nach “Parteilogiken” der ÖVP hörbar kritisierte, so hatte er sehr recht. Genau so ist es abgelaufen.

Nahezu jedes Regierungsmitglied ist klar zuordenbar, angefangen vom niederösterreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer, der im niederösterreichischen Erbpacht-Innenministerium natürlich einen niederösterreichischen Nachfolger von Johanna Mikl-Leitners Gnaden bekommt. Oder Faßmann, der keine Parteilobby aufweisen konnte und seinen Platz, schon auch etwas erleichtert, an einen Steirer zu übergeben hatte.

Warum bleibt Margarete Schramböck Ministerin? Weil Tirols Landeshauptmann Günther Platter seinen Schutzmantel über die von Sebastian Kurz installierte Wirtschaftsministerin (und Tirolerin) ausgebreitet hat. Salzburg war mit Karoline Edtstadler schon bisher gut vertreten, sie bleibt. Vorarlberg konnte sich mit dem Finanzminister Magnus Brunner aufschwingen. Oberösterreich? Nun, das Bundesland ist der Grund, warum Familienministerin Susanne Raab bleiben darf. Und Claudia Plakolm zählt in der Bundesländer-Wertung ja auch zu Oberösterreich, obwohl es Karl Nehammers Wunsch war, die 26-jährige JVP-Chefin als
Signal an die Jugend aufzustellen.

Alle zufrieden, alle haben was bekommen. Im Parteiapparat der ÖVP ist es wieder wie früher. Doch ob man mit Karl Nehammer auch Wahlen gewinnen kann? Sicher sind sich da nicht alle Landeshauptleute. Für ihn spricht, dass er krisentauglich ist, seit ÖAAB-Zeiten gute Funktionärsverbindungen pflegt und damit eine hervorragende Innenkenntnis der Volkspartei hat, auch mit Kogler gut kann. Die ÖVP-Landesfürsten hoffen, dass er sein Law-and-Order-Image, das Innenministern naturgemäß anhaftet, aufweichen kann. “Mit dem kannst du auch durch ein Festzelt gehen”, sagen Parteikollegen mit Hinblick auf Wahlkämpfe anerkennend. Bisher hätte man eher eine Kontrolle der Festgäste durch den strengen Nehammer befürchtet.

Der Knatsch der ÖVP mit dem Klimaministerium ist noch nicht vorbei. Gut möglich, dass sich diese Koalitionsbaustelle ausdehnt, wenn weitere Gesetzesvorhaben im Klima- und Umweltschutz öffentlich diskutiert werden. Leonore Gewesslers Absage von Straßenprojekten, ausgerichtet über Medieninterviews, haben stramme ÖVP-Minister blass werden lassen.

Die Stabilen in der Regierung sind die Grünen, nicht die ÖVP, die innert knapp mehr als 50 Tagen den dritten Bundeskanzler aufbietet, obwohl das Land nichts mehr als Einigkeit und Klarheit bräuchte, um erst noch die Pandemie und gleich dann die Klimakrise kraftvoll, entschlossen und schnell anzugehen.

Auch wenn die Länder die ÖVP übernommen haben: Das Neuwahlgespenst hat das Schloss auch durch die Verländerung noch nicht verlassen.

Gerold Riedmann

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