Staatsversagen?
Das waren noch Zeiten, als sich im Frühjahr 2020 der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz mit den von ihm so bezeichneten „smarten“ Staaten (Tschechien, Israel, Dänemark), welche die Pandemie viel besser in den Griff bekommen hatten als alle anderen, über die weiteren Maßnahmen beriet. Seither hat sich Ernüchterung darüber, wer klug oder weniger klug gehandelt hat, ausgebreitet.
„Es gibt in der Bewältigung der Krise jedenfalls weder Musterschüler noch Bösewichte. “
Auch die einstige Modellregion Vorarlberg ist derzeit in Österreich nicht gerade Musterschüler. Momentan darf Wien für sich in Anspruch nehmen, rechtzeitig und richtig gehandelt und die Inzidenzen einigermaßen im Griff zu haben. Neben dem berechtigten Lob für Wien sollte nicht vergessen werden, dass noch zu Ostern 2021 über den Osten Österreichs ein Lockdown verhängt werden musste, um die Kapazitäten in den Spitälern nicht übermäßig zu beanspruchen.
Die Pandemie hat eben ihre eigenen Gesetze: Das heute wegen seiner Impfdisziplin gefeierte Portugal musste im vergangenen Jahr viele Intensivpatienten in andere Länder Europas verlagern. Schweden war zu Beginn der Pandemie wegen seiner kaum vorhandenen Restriktionen, die eine Vielzahl von Toten mit sich brachten, schwer gescholten worden und gehört heute bei nur marginal besserer Impfquote als Österreich zu den Ländern mit den derzeit geringsten Inzidenzen.
Es gibt in der Bewältigung der Krise jedenfalls weder Musterschüler noch Bösewichte. Mittlerweile gibt es mit Omikron eine neue Herausforderung und wir wissen nicht, was uns diese neue Entwicklung bringen wird. Jedenfalls sollte niemand überrascht sein, wenn im Jänner ein neuerlicher Lockdown erforderlich wird.
Dann wird wieder von Staatsversagen die Rede sein. Wer allerdings immer nur von Staatsversagen redet, weil es abermals nicht gelungen ist, eine Ansteckungswelle zu verhindern, ist ungerecht und wälzt die gesamte Verantwortung auf die öffentliche Hand ab. Der Staat ist keine Nanny, die den Menschen eigenständiges Denken und Verantwortung abzunehmen hat. Er kann seine Anstrengungen nicht einseitig der Pandemiebekämpfung widmen, sondern muss alle öffentlichen Interessen im Blick haben. Von der Politik ist allerdings zu fordern, dass sie ihre Abwägungsentscheidungen nach Maßgabe der Fakten und nicht aus unsachlichen Motiven trifft.
Und wenn einmal etwas gut läuft, ist Zurückhaltung angebracht, statt den Welt- oder Europameister im Impfen oder sonst einer Maßnahme hervorzukehren. Es ist noch viel zu früh, um zu wissen, wer am Ende die Smarten sein werden.
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus und Universitätsprofessor in Innsbruck.
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