Landeshauptmann Markus Wallner: “Eine Welle der Hilfsbereitschaft”

Wallner im VN-Interview: Messe könnte statt Corona-Spital als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden.
Das Gespräch führten Gerold Riedmann und Mirijam Haller.
Bregenz Der Vorarlberger Landeshauptmann über Flüchtlinge aus der Ukraine, die Suche nach Unterkünften und die Hilfsaktion “Vorarlberg hilft”.
Es sind bereits Kinder aus der Ukraine nach Vorarlberg geholt worden. Auf was bereitet sich das Land Vorarlberg vor?
Wallner Wir haben es mit einem totalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zu tun, das macht unglaublich betroffen. Es ist wichtig, ein hohes Maß an Solidarität mit der Ukraine zu zeigen. Die Flucht vor dem Krieg ist voll im Gange, etwa 500.000 Frauen und Kinder sind auf der Flucht. Allein 300.000 sind im Nachbarland Polen angekommen. Es zeichnet sich eine starke Fluchtbewegung in die Nachbarländer ab, aber natürlich gehen wir davon aus, dass es von dort aus Richtung Österreich und damit Vorarlberg geht.
Mit wie vielen Flüchtenden rechnen Sie?
Wallner Die UNHCR spricht von fünf Millionen Flüchtlingen. Das würde für Österreich etwa 50.000 Menschen bedeuten. Im Gespräch ist, dass ein Jahr temporärer Schutz ohne Asylverfahren im Rahmen der Grundversorgung gewährleistet werden soll. Wir stellen uns auf eine sich aufbauende Flüchtlingsbewegung ein. Noch zaghaft, aber das kann sich stündlich ändern.
Wo suchen Sie nach Unterkünften?
Wallner Das ist eine Herausforderung, weil wir in verschiedenen Szenarien denken müssen. Entweder benötigen wir ein größeres Aufnahmezentrum zur Erstaufnahme, um dann erst in kleinere Quartiere der Caritas ausweichen zu können, oder die Verteilung erfolgt direkt in kleinere Quartiere, wenn die Zahlen niedriger sind. Wir sind derzeit in Abstimmung mit der Gruppe, die bereits 2015 aktiv war, darunter Vermögensverwaltung und Gemeindeverband. Wir prüfen derzeit alle Hallen im Land, darunter auch die Messe Dornbirn. Wenn alle Stricke reißen, stehen auch öffentliche Einrichtungen wie Turnhallen zur Verfügung.
Das heißt, dass die Messehalle, die als Corona-Spital gedacht war, auch eine Option sein kann?
Wallner Wir überlegen es mit. Wir haben verschiedene Einrichtungsmöglichkeiten wie Kojen und andere Versorgungsmöglichkeiten angeschafft. Das heißt, wir haben Material vorhanden, das wir einsetzen können. Es muss aber nicht die Messehalle sein. Das Rote Kreuz, das auf so eine Situation vorbereitet ist, würde die Betreuung einer solchen Halle übernehmen. Bis zu 300 Personen könnten so vom Roten Kreuz betreut werden. Wenn es über Nacht eine Betreuungsmöglichkeit geben soll, dann würden wir eine Möglichkeit zur Unterbringung im öffentlichen Bereich finden.
Welche Rolle spielt die Hilfsaktion “Vorarlberg hilft”?
Wallner Wir haben heute die Aktion “Vorarlberg hilft” bei einer gemeinsamen Sitzung ins Leben gerufen. Die Zusammenarbeit zwischen Caritas, Rotem Kreuz, Land und VN hat in Krisensituationen schon oft funktioniert. Es gibt eine Welle der Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung – ein großes Zeichen der Solidarität. Wir rufen zu Spenden auf. Die Partnerorganisationen Rotes Kreuz und Caritas haben viel Erfahrung in der Ukraine. Wir machen punktgenau transparent, wie die Spenden verwendet werden. Jeder Euro, der gespendet wird, wird an der richtigen Stelle in der Ukraine ankommen.
Das ist eine Katastrophe vor unserer Haustüre. Der Bund hat Soforthilfe gewährleistet und 2,5 Millionen Euro in die Hand genommen, auch die Länder haben in Summe 2 Millionen aufgestellt.
Es gibt Berichte, dass unter Tschetschenen in Europa Todeslisten kursieren sollen. Auch in Vorarlberg ist nach VN-Informationen der Verfassungsschutz tätig. Was können Sie dazu sagen?
Wallner Ja, wir sind mit dem Verfassungsschutz in Kontakt, weil wir nachgefragt haben, welche Reaktionen in der russischen und der ukrainischen Bevölkerung gibt. Es leben etwa 300 Ukrainer in Vorarlberg, auch russische Bevölkerungsanteile. Bisher sind keine Aggressivitäten feststellbar, man spürt nicht allzuviel Bewegung.
Könnte Österreich und insbesondere Bundeskanzler Nehammer derzeit mehr tun, was die Einflussnahme auf Russland betrifft?
Wallner Ich glaube, Karl Nehammer tut im Moment das menschenmögliche. Ich glaube, die Bundesebene macht im Rahmen ihrer Möglichkeiten das, was sie tun können. Von Wien aus betrachtet ist die Ukraine noch mehr Nachbarland.
Hat man in der Vergangenheit zu stark auf Erdgas gesetzt?
Wallner Der Anteil von Gas am Gesamtenergiebedarf in Vorarlberg liegt bei 22 Prozent. Die Industrie hat im Erdgas-Anteil seit 2005 zugenommen. Wenn es zu einem Marktversagen käme, würde es zu einer staatlichen Energielenkung kommen. Was uns hilft ist, dass wir am deutschen Netz angehängt sind. Deutschland bezieht das Gas zur Hälfte aus Russland und die andere Hälfte aus Norwegen und Holland. Österreich bezieht hingegen 80 Prozent aus Russland.
Europa muss weg vom Gas, hin zu Erneuerbarer Energie. In Voralberg gibt es bisher aber keine Bereitschaft, Flächenwidmungen für den Ausbau von Windkraft und Solarenergie vorzunehmen. Muss man das überdenken?
Wallner Der Weg in Richtung Erneuerbarer Energien muss fortgesetzt werden. Nicht nur aus Klimaschutzgründen, sondern auch aus Fragen der Eigenständigkeit. Die Importabhängigkeit von Erdgas muss reduziert werden. Das kann man nur durch den Einsatz von Erneuerbaren Energien erreichen. Kurzfristig für den kommenden Winter hilft Österreich nur eine rasche Bevorratung. Dass die Gasspeicher nur mit 18 Prozent gefüllt sind, war keine gute Nachricht. Eine Forderung der Länder an den Bund ist ein rasches Bevorratungsgesetz für Erdgas.
Wird man die Bevorratungspolitik generell überdenken müssen?
Wallner Wenn Krisen auftreten, müssen rasch Schlüsse gezogen werden. Wir hätten gute Speichermöglichkeiten in Österreich. In Bereichen, in denen hohe Importabhängigkeiten bestehen, ist höchste Vorsicht geboten. Wir müssen uns die Frage stellen: Wie importabhängig sind wir eigentlich in lebensnotwendigen Bereichen? Wir wären gut beraten, diese zu reduzieren. Wir sehen, was passiert, wenn man plötzlich am Erdgashahn von Russland hängt. Wir sind an einem historischen Wendepunkt angekommen, was die Sicherheits- und Versorgungslage anbelangt. Das Europa von morgen ist nach diesem Krieg ein anderes als heute.