Die Gallier im Osten
Schnell entschlossen drehte Peter Hacker am Sonntag auf dem Weg zum Interview wegen eines positiven Coronatests um. Statt im ORF-Studio stand der Wiener Gesundheitsstadtrat kurzerhand im Wohnzimmer, ohne Symptome, dafür gewohnt angriffslustig. Die gesundheitspolitische Sicherheit der Bundeshauptstadt sei wichtiger als alles andere, betont Hacker. Er meint damit, dass es wohl anderen nicht darum gehe. Der Mut zu „nicht attraktiven Entscheidungen“, wie er es nennt, wird allerdings belohnt. Ende Februar kratzt die Wiener SPÖ in Umfragen an der Absoluten. Ein Wert, der früher nur Sebastian Kurz zugetraut wurde.
Es sind wohl weniger die strengen und daher mutmaßlich unpopulären Verordnungen als die klare Kommunikation zu Ursache und Wirkung oder Voraussetzung und Schlussfolgerung. Wenn Zahlen sinken, dann kann über weniger Tests oder Lockerungen diskutiert werden. Hacker folgt damit der Linie seines Chefs, dem Wiener Bürgermeister. Michael Ludwig spricht wie Hacker aus, was viele denken: Das Prinzip Hoffnung und das Relativieren etwa der Belastung des Gesundheitssystems hilft uns nicht aus der Pandemie.
Die seit heute wiedereingeführte Maskenpflicht in Innenräumen reicht wahrscheinlich auch nicht. Weil sie aber wenig kostet und wenig stört, haben die meisten Experten ihre Abschaffung nie verstanden. So wie sie sich ohnehin meist missbraucht fühlen von Politik und Medien, wie eine Studie der Uni Wien zeigt. Wenn Wissenschaft nur als Feigenblatt dient, wird es leider bald keine Experten mehr geben, die zur Analyse und Interpretation zur Verfügung stehen. Wenn sie darüber hinaus noch beleidigt werden, darf ihnen der Rückzug in den akademischen Elfenbeinturm nicht verübelt werden.
Wir erleben einen Zickzackkurs mit beliebigen Einwürfen ohne sichtliche Gegenwehr des neuen Gesundheitsministers.
Hacker, Finanzminister Brunner, Frauenministerin Raab, Parteichefin Meinl-Reisinger und viele Tausende mehr: Erkrankungen und Quarantäne belasten unsere gesamte Wirtschaft und Infrastruktur. Die Politik zeigt trotzdem weder Gegenwehr noch Mut. Wie sonst lässt sich die Idee erklären, dass symptomlose, aber infizierte Personen selbst in sensiblen Bereiche arbeiten sollen? Oder die ganze Reihe an phantasielosen Gießkannenförderungen?
Einen Teil des Dilemmas hat Johannes Rauch geerbt. Er selbst wollte keine Schonfrist, die Erwartungen an den politischen Profi waren hoch. Die Reaktionen auf seine ersten Auftritte sind verheerend. Daran ist Rauch nicht allein schuld. Bundesregierung und Landeshauptleute hätten längst erkennen müssen, dass Vertrauen nur durch schlüssige Maßnahmen und logische Kommunikation gewonnen werden kann. Hingegen erleben wir weiter einen Zickzackkurs mit beliebigen Einwürfen ohne sichtliche Gegenwehr des neuen Gesundheitsministers.
Vorarlberg hat das Prädikat als gallisches Dorf verloren. Den wider- und eigenständigen Ruf genießt nun ausgerechnet Wien.
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