Johannes Huber

Kommentar

Johannes Huber

Nebelgranaten

Politik / 26.03.2022 • 05:00 Uhr

Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird in Österreich nicht einmal nach Ausbruch des Ukraine-Krieges ernst genommen. Man redet zwar von der Bedeutung des Bundesheers, tut es aber nur, um sich selbst in Szene zu setzen. Es wird ein nationaler Schulterschluss vorgegaukelt, den es nicht gibt. Es werden Zahlen genannt, die in kein logisches Ganzes eingebettet sind.

Österreich beteiligt sich an Sanktionen, ermöglicht Überflüge für Waffenlieferungen an die Ukraine. Ja, es macht laut Tanner selbstverständlich auch bei einer schnellen Eingreiftruppe der EU mit.

Was das ist, möge ein Vergleich erahnen lassen: Ein Unternehmer kündigt an, eine Riesenhalle zu bauen. Er macht damit Hunderten Hoffnung auf einen Arbeitsplatz. Erst im Baustadium beginnt er jedoch, sich zu überlegen, wozu er die Halle überhaupt verwenden könnte: als Lager, als Produktionsstätte oder einfach nur als Garage für seinen Fuhrpark?

Die Verantwortlichen gehören beim Namen genannt: Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) ließ am Donnerstag über ausgewählte Medien verkünden, dass ein zehn Milliarden schwerer „Neutralitätsfonds“ komme, um genügend Geld zur Nach- und Aufrüstung des Bundesheeres zu haben. Das Regelbudget solle auf 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Darüber sind angeblich alle Parlamentsparteien informiert worden.

Hinterher stellte sich heraus, dass das eine Lüge war. Auch über die 1,5 Prozent konnte man sich wundern. Bundeskanzler Karl Nehammer hatte erst Anfang März von einem Prozent gesprochen. Gestern wollte er sich nicht festlegen. So beliebig ist Politik der ÖVP, der die beiden angehören, selbst in Zeiten wie diesen. Besorgniserregend.

Überrascht sein sollte man nicht: Klaudia Tanner missbraucht den populären Neutralitätsbegriff vollkommen ungeniert. Dabei hatte Nehammer bei anderer Gelegenheit vor wenigen Wochen erklärt, dass die Neutralität Österreich einst von den Sowjets aufgezwungen worden sei. Nicht nur das war Russland ein Signal, zu bezweifeln, dass sie noch gilt: Österreich beteiligt sich an Sanktionen, ermöglicht Überflüge für Waffenlieferungen an die Ukraine. Ja, es macht laut Tanner selbstverständlich auch bei einer schnellen Eingreiftruppe der EU mit. Diese könnte eines Tages für kriegsbeendende bzw. friedensschaffende Missionen eingesetzt werden. Nur Tanner tut so, als wäre alles ganz grundsätzlich mit der Neutralität vereinbar.

Andererseits hat der Kanzler folgendes vermittelt: In der EU würden Bündnisfreie und Neutrale wie Finnland und Österreich im Falle des Falles indirekt auch von der NATO geschützt werden. Das ist interessant. Wozu genau braucht man dann aber eine eigene Armee? Es gehört endlich ausgesprochen, was Sache ist. Das ist überfällig. Erst dann kann man klären, was das Bundesheer braucht. Sonst droht nur Steuergeld für parteipolitisch motivierte Nebelgranaten und korruptionsanfällige Rüstungsgeschäfte verpulvert zu werden.

Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.