Bericht aus der Ukraine: Die Menschen sind “ernst, aber ungebrochen”

Gerhard Bösch, CEO der größten Bank der Ukraine, arbeitet seit Montag wieder vor Ort.
LVIV/WIEN Eigentlich war der Vorarlberger Gerhard Bösch angetreten, um die größte Bank der Ukraine auf eine Privatisierung vorzubereiten. Doch seit Beginn des russischen Angriffskriegs liegt seine Aufgabe vor allem darin mitzuwirken, die Infrastruktur in Kriegszeiten aufrechtzuerhalten. 20 Millionen Kunden hat die PrivatBank, deren CEO er ist. Seit Montag ist der Banker wieder in der Ukraine, nachdem er mehr als drei Wochen in Österreich verbracht hat. Der VN hat er die aktuelle Lage geschildert.
“Alle wollen zurück”
“Wien wird, denke ich, eine beliebte Destination für Leute, die sehr gut ausgebildet sind. Ich habe am Wochenende auch schon die ersten Jobinserate der Erste Bank gesehen, die sich direkt an Ukrainer wenden und anbieten, über Arbeitsmöglichkeiten zu reden.” Einige ukrainische Kundinnen hat er in Wien zum ersten Mal persönlich getroffen: “Der typische Fall ist eine Frau mit Kindern und vielleicht noch einer Tante oder Großmutter – aber ohne Ehemann oder Sohn. Selbstverständlich wollen sie alle zurück.”
Auch für Bösch war die Zeit wieder gekommen, in die Ukraine zurück zu reisen: “Ich habe nie vorgehabt, auf Dauer dieses Land zu verlassen. Ich bin nicht der Einzige. Viele kommen gerade temporär retour.” Die Strecke von Wien nach Lemberg könne man in rund acht Stunden schaffen, sagt Bösch, der selbst mit dem Auto fuhr: “Das ist vergleichbar mit der Strecke von Wien nach Zürich.” Vor der polnischen Grenze auf der ukrainischen Seite habe er diesmal sehr wenig Pkw-Verkehr beobachtet: “Nach vier Wochen scheint sich das gut eingespielt zu haben. Ich habe keine Szenen an der Grenze gesehen, wie etwa noch vor vier Wochen.”
Krisenmanagement von Lemberg aus
Gerhard Bösch bleibt vorerst in Lemberg, wo sich auch einige seiner Kollegen angesiedelt haben, berichtet er: “Da Lemberg mit Abstand die größte Stadt ist, hat sie auch die meisten Kapazitäten und Infrastruktur. Und das ist für die größte Bank der Ukraine auch essenziell.” Der Standort sei aber nicht das Wichtigste: Das Team aus sechs Vorständen habe in den vergangenen zwei Jahren über viele Monate im Homeoffice gearbeitet. “Wir sind diese Art von Kommunikation gewohnt”, sagt Bösch.
Im Moment haben wieder mehr Filialen geöffnet: Knapp 1000 zur Zeit, und es laufen zwischen 5500 und 6000 Bankomaten. Alle Online-Services und auch alle IT-Systeme haben ununterbrochen funktioniert seit Beginn des Kriegs, sagt Bösch: “Operativ hatten wir bislang keine Probleme.” Zur Zeit funktionieren auch alle Bankomaten in jenen europäischen Ländern, in denen sich die ukrainischen Flüchtlinge befinden. Die Leute können im Supermarkt bezahlen oder online bestellen.
“Ernst, aber ungebrochen”
Was hört Bösch nach seiner Rückkehr nach knapp einem Monat von jenen Menschen, die er vor Ort trifft? “Die Stimmung nehme ich wie in den vergangenen Wochen wahr: gefasst, natürlich ernst. Aber ungebrochen. Ich sehe nach wie vor keinerlei Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieses Widerstands. Im Gegenteil.”