“Ich war unschuldig”

Antisemitismus ist kein Randphänomen, erinnert Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.
Jerusalem, Tel AViv Das Ausmaß der Verbrechen wird der österreichischen Delegation im Raum der Namen noch einmal ganz besonders bewusst. In dem Raum, der bis unter die Kuppel zugepflastert ist mit Bildern und Namen von Opfern des Holocaust. In dem Raum, in dessen Mitte ein tiefes Loch klafft, das für die 1,2 Millionen Juden steht, deren Namen nicht bekannt sind. In dem Raum mit den hohen Regalen an den runden Wänden: Datenblätter von 4,8 Millionen Opfern des Holocaust sind hier gelagert.
Im Rahmen eines offiziellen Besuchs war Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) zu Gast in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Angesichts steigender Zahlen von antisemitischen Vorfällen in Österreich, unterzeichnete sie eine Arbeitsvereinbarung für ein Jugendaustauschprogramm zwischen Österreich und Israel, denn „wir haben in Österreich eine spezielle historische Verantwortung, die gerade wir jungen Menschen nicht aufhören sollten, wahrzunehmen.“
Erinnerungen bewahren
In eine ähnliche Kerbe schlägt Daniel Rozenga, Verantwortlicher für die deutschsprachigen Länder in Yad Vashem, der die Delegation durch das Museum führte: „Antisemitismus hat nicht mit dem Zweiten Weltkrieg begonnen.“ Vielmehr hätten einfache Strömungen in der Bevölkerung zu dessen Aufschwung geführt. Umso wichtiger sei es deswegen, von den Gräueltaten des Holocaust zu berichten, um ein Bewusstsein zu schaffen.
Für Arnon Hampe, Politikwissenschaftler am Jüdischen Museum in Hohenems, der ein Projekt zu politischer Bildung durchführt, hat das ebenfalls Priorität: „Es braucht politisch-historische Bildung in allen gesellschaftlichen Segmenten und allen Altersstufen.“ Da setze auch sein Projekt „Demokratiekultur“ an, wie er den Vorarlberger Nachrichten berichtet: „Erinnerungskultur muss aus unserer Sicht inklusiver und diverser werden, so wie eben auch die Gesellschaft sich diversifiziert.“
Dass schnelles Handeln notwendig ist, zeigt der aktuellste Bericht der österreichischen Meldestelle für Antisemitismus: Im Kalenderjahr 2021 wurden 965 antisemitische Vorfälle registriert – eine Steigerung von 65 Prozent gegenüber 2020 und ein absoluter Höchstwert seit Beginn der Erhebungen. Benjamin Nägele, Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, betont, dass die Dunkelziffer höher sei: „Der Negativ-Rekord ist ein Auftrag an uns alle – auch an Sie!“
Austausch gegen Antisemitismus
Ebendieser Auftrag könnte nun mit dem geförderten Austausch von israelischen und österreichischen Jugendlichen erfüllt werden, erklärt Arnon Hampe: „Sich die Lebensrealitäten der Israelis und Palästinsner vor Ort anzuschauen, kann sehr hilfreich sein bei der Irritation von Narrativen, die ein sehr einseitiges Bild der Realität vermitteln, in denen es nur ‚Gut‘ und ‚Böse‘ gibt.“ Er selbst hat lange in Berlin gearbeitet und habe dort von Jugendlichen – speziell mit Bezügen in den Nahen Osten – gelernt, dass ein solcher Austausch Perspektiven erweitert. „Danach nehmen sie Abstand von einseitigen Schuldzuweisungen oder antisemitischen Deutungsmustern.“
Auch das ist ein Ziel von Yad Vashem. Dort ist ein Zitat von Benjamin Fondane, in Auschwitz getötet, zu lesen: „Erinnere dich daran, dass ich unschuldig war und – genau wie du – an jenem Tag sterblich war.“ Als Hinweis soll es dienen. Dafür, dass sich die Zeit der Verbrechen niemals wiederholen darf.
„Seit einigen Jahren äußert sich Antisemitismus wieder offener und expliziter.“

Die Reise erfolgte auf Einladung des Bundeskanzleramtes, das einen Teil der Kosten übernahm.