72 Mal „Zur Ordnung!“
Es ist kompliziert. Die Beziehung zwischen den Wählerinnen und Wählern und der ÖVP in Vorarlberg hat gelitten. Die Inseratenaffäre rund um den Vorarlberger Wirtschaftsbund, einer Teilorganisation der ÖVP, sorgt seit Wochen für starke Irritationen im ganzen Land. So war Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) am Mittwoch auch im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss in Wien geladen. Im Vorfeld versprach er Aufklärung. Die Befragung verkam aber zu einem Lehrbeispiel, wie man Aufklärungsarbeit über weite Strecken verhindert. Eine Gelegenheit dazu verstrich ungenutzt.
Es geht um Vorwürfe der Korruption im Zusammenhang mit Inseraten in der Zeitung des Vorarlberger Wirtschaftsbunds, der „Vorarlberger Wirtschaft“. Zudem steht der Verdacht auf verdeckte Parteienfinanzierung im Raum. Wallner soll zudem laut einer eidesstattlichen Erklärung, die den VN vorliegt, Gegenleistungen zu Inseraten in Aussicht gestellt haben. Er dementiert.
Mit Blick auf die Befragung am Mittwoch ist es geradezu ein Segen, dass die Befragungen im Untersuchungsausschuss nicht öffentlich sind. Bei Beobachtern entstand nicht der Eindruck, dass hier breite Aufklärung betrieben werden sollte. Schon vor der ersten Frage gab es den ersten Geschäftsordnungsruf von Andreas Hanger, ÖVP-Fraktionsführer im U-Ausschuss.
Insgesamt 72 mal berief sich die Volkspartei auf die Geschäftsordnung, was lange Verzögerungen zur Folge hatte und wertvolle Fragenzeit auffraß, die pro befragter Person auf vier Stunden begrenzt ist. Schon bislang signalisierte die ÖVP wenig Problembewusstsein. Eingeräumt wurde nur, was die Medien bereits recherchiert hatten. Auch Wallner sprach lange von 900.000 Euro, die vom Wirtschaftsbund an die ÖVP gingen. Nun tauchen immer wieder neue Zahlungen auf, die Summe wurde schon lange überschritten. Die Prüfer gehen aktuell von 1,5 Millionen aus.
Zumindest berief sich Wallner, anders als Ex-Finanzminister Gernot Blümel bei seiner Befragung im Ibiza-Ausschuss im Vorjahr, nicht auf Erinnerungslücken und verweigerte damit nicht das Gespräch. Doch das wird angesichts der Schwere der Vorwürfe nicht reichen. Das zeigt ein Blick auf die Stimmung unter den Vorarlbergern: Würde am Sonntag der Landtag gewählt, so käme die ÖVP noch auf einen Stimmenanteil von 32 Prozent, zeigt eine aktuelle Gallup-Umfrage. 2019 hatte die Volkspartei bei der bisher letzten Landtagswahl 43,5 Prozent verbucht. Allein in den vergangenen drei Jahren verlor die Volkspartei ein Zehntel ihrer Wählerinnen und Wähler.
Vertrauen kann nur durch radikale Ehrlichkeit wiedergewonnen werden. Ein eigener Untersuchungsausschuss im Land wäre die nächste Gelegenheit für die ÖVP, die Causa vollumfänglich aufzuklären. Aber die Opposition hat recht: Eine Reform des Kontrollinstruments Untersuchungsausschuss auf Landesebene wird notwendig sein, damit eine lückenlose Aktenlieferung gewährleistet ist. Das ist aktuell nicht der Fall. Wenn die ÖVP, aber auch der Koalitionspartner, die Grünen es mit Transparenz ernst nehmen, sollten sie eine Reform unterstützen und einer weiteren Aufklärung nicht im Weg stehen.
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