Wolfgang Burtscher

Kommentar

Wolfgang Burtscher

Über das Klügerwerden

Politik / 13.06.2022 • 04:45 Uhr

Es könne ihn niemand daran hindern, über Nacht klüger zu werden. Meinte einst Deutschlands Kanzler Adenauer, als ihn Parteifreunde von der CDU darauf aufmerksam gemacht hatten, er habe zu einer wichtigen Frage seine Meinung geändert. Das waren noch Zeiten als Politiker bei neuen von festgefahrenen Meinungen auch einmal abgegangen sind.

Als sich unser Bundespräsident unlängst dafür ausgesprochen hat, Einbürgerungen zu erleichtern, weil die Hürden für die Staatsbürgerschaft zu hoch seien, traf ihn die geballte Ablehnung der ÖVP-Spitze, vom Kanzler bis zum Innenminister. Motto: Kommt nicht in Frage, das haben wir immer so gemacht. Die Gründe für das Njet sind klar. Die ÖVP fürchtet einmal mehr, wie bei der Migration, Wähler an die FPÖ zu verlieren. Die neue ÖVP-Frau fürs Grobe, Generalsekretärin Sachslehner, meinte, die Staatsbürgerschaft müsse man sich verdienen. Das ist jetzt schon schwer genug. Eine Einzelperson muss dafür nach Abzug der Kosten für Miete, Unterhaltszahlungen und Kredit über 1000 Euro zum Leben übrighaben, eine Familie 1600 Euro. Viele Österreicher würden schon an diesen Kriterien scheitern. Ganz zu schweigen von den abverlangten Kenntnissen. Da wird Deutsch auf dem Niveau B1 gefordert. Ich bezweifle, ob das alle Einheimischen schaffen. Oder Antworten auf diese Fragen beim Einbürgerungstest: Welche der Religionen waren 1918 in Österreich anerkannt? Wann wurde Salzburg endgültig Teil von Österreich? Durch welchen Tunnel kann man Osttirol von Nordtirol am besten erreichen? Daran würden so manche Österreicher scheitern. Die Antworten (zur Sicherheit): Katholische, evangelische und orthodoxe Christen, das Judentum und der Islam – 1816 – Felbertauern.

„Bis zur Wirtschaftspartei ÖVP hat sich das noch nicht herumgesprochen. Sie handelt ökonomisch kurzsichtig.

Österreich hat eines der schärfsten Zuwanderungsgesetze der Welt. Unter 56 verglichenen Staaten haben nur noch die Arabischen Emirate und Saudi-Arabien restriktivere Gesetze. Von knapp neun Millionen Bürgern besitzen deshalb1,6 Millionen Menschen (knapp 18 Prozent) nicht die österreichische Staatsbürgerschaft, mit steigender Tendenz. Wie halten es vergleichbare Länder? Wenn ausländische Eltern acht Jahre rechtmäßig in Deutschland sind, erhält das Kind bei der Geburt automatisch die Staatsbürgerschaft. Auch in anderen EU-Ländern ist das so. Bei uns gilt das Abstammungsprinzip. Kinder erhalten die Staatsbürgerschaft der Eltern. Die derzeitige Regelung verhindert die gewünschte Integration. Wir hätten gerne, dass Ausländer, die bei uns leben, auch arbeiten und Steuern zahlen und sich zu Österreich bekennen. Aber die Staatsbürgerschaft bekommen sie nicht. In Wien ist ein Drittel der dort lebenden Menschen nicht wahlberechtigt. Das ist demokratiepolitisch bedenklich.

Die Deutschen sehen die Einbürgerungen pragmatisch. Man braucht 400.000 Zuwanderer pro Jahr, um den Wohlstand zu sichern, und will mit einem neuen Gesetz gut integrierten „geduldeten Zuwanderern“ ein Bleiberecht ermöglichen. Bis zur Wirtschaftspartei ÖVP hat sich das noch nicht herumgesprochen. Sie handelt ökonomisch kurzsichtig. Auch bei uns schreit die Wirtschaft nach Personal und Fachkräften. Wifo-Chef Gabriel Felbermayr befürwortet deshalb weniger rigorose Regelungen bei der Staatsbürgerschaft. Es stelle sich schon die Frage, wie es denn mit der Willkommenskultur aussehe, meinte er gerade in der ORF-Pressestunde: „Wir werden uns um Talente bemühen müssen. Da wird ein Wettbewerb ausbrechen.“ Österreich mit seinem Fachkräftemangel werde den Standort attraktiver machen müssen. Da könne eine großzügigere Handhabe bei der Staatsbürgerschaft helfen. Unsere Regierung muss nicht unbedingt über Nacht klüger werden. Aber vielleicht nach einer Nachdenkphase.

Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landes­direktor, lebt in Feldkirch.