Unbesetzte Kassenstellen in Vorarlberg: Hausärzte dringend gesucht

Politik / 24.06.2022 • 05:00 Uhr
Rudolf Rüscher will mit seinen 66 Jahren eigentlich die Pension antreten. Doch die Suche nach einem Nachfolger in Andelsbuch gestaltet sich schwierig. <span class="copyright">Angela Lamprecht</span>
Rudolf Rüscher will mit seinen 66 Jahren eigentlich die Pension antreten. Doch die Suche nach einem Nachfolger in Andelsbuch gestaltet sich schwierig. Angela Lamprecht

Sieben Stellen in Vorarlberg unbesetzt: Geht ein Mediziner in Pension, kann es lange dauern, bis ein Nachfolger gefunden ist.

38 Jahre. So lange arbeitet Rudolf Rüscher schon als Allgemeinmediziner in Andelsbuch im Bregenzerwald. Eigentlich will der 66-Jährige seine Pension antreten, zumindest die Kassenpraxis zurücklegen und seine ärztliche Tätigkeit reduzierenDoch die Suche einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers gestaltet sich schwierig. Noch konnte niemand gefunden werden. „Ich bin jetzt in der Übergangszeit, eineinhalb Jahre über der Pensionierung“, sagt Rüscher. Er hofft, dass die Stelle bis Ende des Jahres besetzt ist. 

„Man kennt die Menschen“

„Für mich ist nach wie vor die Allgemeinmedizin der schönste Bereich“, betont Rüscher. Könnte er sich nachträglich noch einmal entscheiden – er würde die gleiche Wahl treffen. Gerade in einer kleinen Gemeinde wie Andelsbuch sei die Arbeit besonders vielseitig. „Man kennt die Menschen, man kennt die Familien, das soziale Umfeld. Das sind mittlerweile drei Generationen.“ Der Allgemeinmediziner auf dem Land sei praktisch Generalist.

Insgesamt gibt es in Vorarlberg 335 ärztliche Kassenstellen, davon 160 für Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner sowie 175 Fachärzte und -ärztinnen. Nach Angaben der ÖGK sind alle Kassenstellen besetzt, mit Ausnahme der Augenheilkunde. Bei insgesamt 22,9 Stellen sind fünf offen. Das heißt, über ein Fünftel ist unbesetzt.

Die Zahlen gelten laut ÖGK für das erste Quartal und unterscheiden sich deutlich von jenen der Ärztekammer. Die ÖGK begründet es auf Nachfrage damit, dass Entwicklungen des zweiten Quartals erst in der neuen Statistik per 1. Juli aufscheinen würden. Warum aber sind alle Hausarztstellen laut ÖGK besetzt, obwohl zum Beispiel ein Allgemeinmediziner in Rankweil bereits im Februar in die Pension wechselte? Das scheine nicht in der Statistik auf, da die Rankweiler Position erst im Juni ausgeschrieben würde, lautet die Begründung seitens der ÖGK. Laut Ärztekammer ist die Situation nicht ganz so rosig. Demnach sind im Bereich der Allgemeinmedizin aktuell sieben Kassenvertragsarztstellen unbesetzt. Bei den Fachärzten – so die Kammer gegenüber den VN – gebe es derzeit tatsächlich nur in der Augenheilkunde Probleme, wobei hier sechs Kassenvertragsfacharztstellen unbesetzt sind: „Für drei davon konnte bereits ein Nachfolger gefunden werden“, lautet die gute Nachricht.

„Wenn ich mir die einzelnen Leistungen anschaue, ist die Honorarsituation nicht leistungsgerecht“, sagt Rüscher. <span class="copyright">Angela Lamprecht</span>
„Wenn ich mir die einzelnen Leistungen anschaue, ist die Honorarsituation nicht leistungsgerecht“, sagt Rüscher. Angela Lamprecht

In der Praxis von Rüscher in Andelsbuch ist das noch nicht geschehen. Jedes Berufsbild habe schöne und weniger schöne Seiten, räumt der Mediziner ein. Als Hausarzt fielen viele Wochenend- und Bereitschaftsdienste an. Das könne vielleicht für junge Kolleginnen und Kollegen abschreckend wirken. Die Honorarsituation mit der Kasse sei für ihn zwar grundsätzlich zufriedenstellend. Doch er räumt ein: „Wenn ich mir die einzelnen Leistungen anschaue und die Präsenzzeiten für einen Dienst, ist das nicht leistungsgerecht. Leider geht es nur mit vielen Patientenkontakten täglich, das heißt mit wenig Zeit für den einzelnen Patienten.“

Die Lage im niedergelassenen Bereich dürfte sich so schnell nicht entschärfen. In Vorarlberg erreichen heuer insgesamt acht Allgemeinmediziner mit ÖGK-Vertrag ein Alter von 65, die kommenden beiden Jahre werden es jeweils sieben sein. Bis inklusive 2027 sind es insgesamt 36. Bis 2032 kommen 22 weitere hinzu. Auch bei den Fachärzten stehen einige Pensionsantritte an. Heuer werden zwei Kassenärzte das Alter von 65 erreichen, in den kommenden beiden Jahren jeweils sechs, bis inklusive 2027 werden es am Ende 34 sein, die ihren 65er feiern. Bis 2032 kommen weitere 34 hinzu. In der Regel treten Ärzte ihre Pension rund um den 65. Geburtstag an, heißt es seitens der Ärztekammer. Doch nicht alle würden das tun. Nach Bestimmungen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz kann ein Kassenvertragsarzt bzw. -facharzt grundsätzlich bis zum 70. Lebensjahr einen Kassenvertrag innehaben.

Neue Modelle

Ärztekammer, Kasse und Gemeinden seien gefordert, Ideen zu entwickeln, um die Stelle des Hausarztes für den Nachwuchs attraktiver zu machen, betont Landarzt Rüscher. Stellen wie seine machten zukünftig eher zwei Mediziner. Es brauche mehr Teilzeit, zudem müssten Modelle entwickelt werden, um beispielsweise auch Spitalsärztinnen und -ärzte in die Versorgung im niedergelassenen Bereich einzubinden. Ebenso verweist er auf das Beispiel Deutschland, wo es bereits einen Facharzt für Allgemeinmedizin gebe. Hier würde Rüscher ansetzen, vor allem auch bei der Ausbildung. „Jeder Arzt, jede Ärztin in Ausbildung sollte ein ganzes Jahr in eine Lehrpraxis gehen. Dann können sie erfahren und erleben, wie vielfältig und spannend die Allgemeinmedizin in einer niedergelassenen Praxis ist – ob am Land oder auch in der Stadt.“

Magdalena Raos, Birgit Entner-Gerhold