So viele Frauen im Land entscheiden sich für einen Schwangerschaftsabbruch

Politik / 08.08.2022 • 07:00 Uhr / 11 Minuten Lesezeit
In den USA gibt es seit einem umstrittenen Höchstgerichtsurteil kein landesweites Recht auf Abtreibung. Die Diskussion schwappte bis nach Vorarlberg, wo nur ein Arzt Schwangerschaftsabbrüche durchführt, und dieser steht kurz vor der Pension. <span class="copyright">AP</span>
In den USA gibt es seit einem umstrittenen Höchstgerichtsurteil kein landesweites Recht auf Abtreibung. Die Diskussion schwappte bis nach Vorarlberg, wo nur ein Arzt Schwangerschaftsabbrüche durchführt, und dieser steht kurz vor der Pension. AP

Nur ein Gynäkologe bietet den Eingriff an. Im VN-Gespräch berichtet er von Schwangerschaftskonflikten, Bedrohungen und warum es wichtig ist, den Frauen eine Wahl zu geben.

Bregenz Schwangerschaftsabbrüche sind keine Randerscheinung. Die Frauen, die zu dem Gynäkologen Benedikt-Johannes Hostenkamp kommen, befinden sich in Lebenskrisen, berichtet er. Dass es keine Bannmeile vor seiner Klinik gebe, sei wohl eine politische Entscheidung gewesen. Er würde sich Wegweisungen der sogenannten Bordsteinberater wünschen. Sie seien dafür verantwortlich, dass manche Frauen so aufgewühlt in die Praxis kämen, dass sie vor dem Eingriff noch mehr Medikamente zur Beruhigung brauchen.

Hostenkamp führt in Vorarlberg rund 300 Schwangerschaftsabbrüche jährlich durch. Doch es gibt auch viele andere, die sich nach seiner Beratung doch noch für die Schwangerschaft entscheiden, erzählt er im VN-Interview. Am 22. August trifft sich der Arzt mit Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher zum Gespräch, da er der einzige Gynäkologe im Land ist, der den Eingriff durchführt. Nun steht er kurz vor der Pension. Der öffentliche Druck scheine etwas zu bewegen.

Wann feiern Sie Ihren 70. Geburtstag?

Am 12. August werde ich 70.

Warum arbeiten Sie noch?

Weil ich muss und weil es mir auch Spaß macht. Wenn man Schwangerschaftsabbrüche anbietet, sieht man darin eine Aufgabe.

Wie war Ihre Woche?

Spannend. Ich hatte zwölf Anmeldungen für einen Schwangerschaftsabbruch, elf Frauen sind zur Untersuchung gekommen, drei von ihnen haben sich doch gegen einen Abbruch entschieden. Sie haben durch meine Beratung einen Weg gefunden, schwanger zu bleiben. Lebensschutz wird so gestaltet und nicht durch Bordsteinberatung.

Was hören die Patientinnen denn so von den „Gehsteigberatern“ vor Ihrer Praxis?

Es kommt vor, dass Sie als Mörderinnen bezeichnet werden. Vor allem junge Frauen müssen sich sehr viel anhören. Manchmal kommen sie wegen der Bordsteinberater so aufgewühlt in die Praxis, dass sie mehr Medikamente brauchen.

Das Wartezimmer der Praxis in Bregenz. Benedikt-Johannes Hostenkamp zeigt sein Bild nicht in der Öffentlichkeit: "Ich muss ja nicht eine Zielscheibe für irgendwelche Killer werden." <span class="copyright">VN</span>
Das Wartezimmer der Praxis in Bregenz. Benedikt-Johannes Hostenkamp zeigt sein Bild nicht in der Öffentlichkeit: "Ich muss ja nicht eine Zielscheibe für irgendwelche Killer werden." VN

Zur Beruhigung? Damit Sie den Eingriff überhaupt durchführen können?

Ja. Wissen Sie was? Diese sogenannten „Pro Lifer“ („Lebensrechtbewegung“) nennen sich vielleicht so, sind das aber gar nicht. Wir, die für eine Wahl („Pro Choice“) eintreten, sind „Pro Lifer“, weil wir was bewegen können, weil wir uns auf das Thema einlassen. Natürlich gibt es Wochen, in denen alle, die bei der Voruntersuchung waren, auch zum Schwangerschaftsabbruch kommen. Aber insgesamt sind es zehn bis 15 Prozent, die sich dann doch anders entscheiden.

Sie sehen die Frauen als Ganzes.

Ja natürlich, ich bin ja kein Uterusingenieur. Ich bin ein Frauenarzt. Arzt für die Frau. Ich muss den Menschen sehen und nicht nur den Uterus.

Abtreibungsgegner sehen Ihre Klinik aber oft so, als würde es keine Beratung geben, kein Aufzeigen von Alternativen, sondern eben nur die Abtreibung als Angebot.

Das wäre illegal. Denn die Beratung ist Voraussetzung für die Straffreiheit. Damit meine ich ausdrücklich nicht die OP-Aufklärung. Diese braucht es ohnehin bei jedem Eingriff.

Wie lange ist die Bedenkzeit, die Sie den Frauen einräumen müssen?

In der Regel sind es ein bis zwei Nächte zum Überschlafen. Es gibt aber extreme Ausnahmefälle, Einzelfälle, bei denen ich am Vormittag die Untersuchung und Beratung mache und am Nachmittag die Operation, zum Beispiel wenn eine Frau eine weitere Anfahrt hat und ihre vier Kinder verstellen muss. Aber auch sie muss die Praxis für ein paar Stunden verlassen und sich eine gewisse Zeit zum Überlegen nehmen. Da ist es auch schon passiert, dass sie sich gegen den Abbruch entschieden hat.

Es ist aber nicht die Regel, dass sich so viele wie vergangene Woche noch für eine Schwangerschaft entscheiden?

Nein. Diese Woche war ein Extrem. Zwei der elf Frauen hatten schon vier Kinder, wollten dann aber doch das fünfte Kind, nachdem sie die Sache überschlafen haben. Und eine Frau hatte eine Kinderwunschbehandlung hinter sich, weil sie schwer schwanger werden konnte, aber jetzt sehr überraschend mit dem neuen Freund schwanger wurde. Ich habe sie gefragt, ob sie es nicht geschafft hat, aus der Not eine Tugend zu machen. Sie hat sich am Ende dann für die Schwangerschaft entschieden.

Wie viel kostet der Schwangerschaftsabbruch?

500 Euro.

Wie erleben Sie die Frauen, die zu Ihnen in die Praxis kommen?

Wir haben es immer mit dem Schwangerschaftskonflikt zu tun. Das ist immer eine Lebenskrise. Die Frau muss abwägen zwischen ihrem Selbstbestimmungsrecht und dem Lebensrecht des Ungeborenen. Das führt zu einer großen Last, Überforderung und Angst. Und dann kommen die Bordsteinberater mit ihrem kontraproduktiven Beitrag. Es muss eine Bannmeile geben. Die Polizei muss die Bordsteinberater wegweisen. Sie haben dort nichts verloren. Sie belästigen meine Patientinnen.

Warum ist eine solche Bannmeile bis heute nicht umgesetzt?

Das war bislang eine politische Entscheidung. Es ist nicht zu verstehen. Ich verstehe auch nicht, dass die Fruchtbarkeitsmedizin in Gut und Böse geteilt wird: Kinderwunschbehandlung gut, Schwangerschaftskonflikt schlecht. Hier geht es einfach um eine Medaille mit zwei Seiten. Ich hatte schon zwei Patientinnen, die nach einer Kinderwunschbehandlung bei mir waren. Eine Schwangerschaft konnte ich retten, die andere nicht, weil sich herausgestellt hat, dass die Frau die belastende Fruchtbarkeitsbehandlung nur gemacht hat, um ihrem Mann einen Herzenswunsch zu erfüllen.

Am 22. August wird sich Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher mit Benedikt-Johannes Hostenkamp zum Austausch treffen. <span class="copyright">VN</span>
Am 22. August wird sich Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher mit Benedikt-Johannes Hostenkamp zum Austausch treffen. VN

Welches Thema spielt Verhütung in Ihren Gesprächen?

Das ist zentral. Es ist genau der richtig Zeitpunkt, um zu besprechen, wie es nach dem Abbruch weitergeht. Wenn die Frau nichts über Verhütung wissen möchte, ist es für mich ein Alarmzeichen, dass sie eigentlich einen Kinderwunsch hat. 

Haben Sie bei Frauen schon eine Behandlung abgelehnt?

Das muss ich gar nicht. Wenn in der Verhütungsfrage Widerstände aufkommen, versuche ich das Thema noch auszuweiten. Manche ärgern sich dann und gehen.

Wie viele Schwangerschaftsabbrüche führen Sie durch?

Es sind rund 300 im Jahr. Heuer hatten wir 175, zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr waren es 149.

Wie kam es dazu, dass Sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten?

Ich habe in Lindau eine Frauenklinik und ein Geburtshaus aufgemacht und es hat sich herausgestellt, dass es in Süddeutschland eine Mangellage gab. Ich wollte meine Patientinnen aber vollständig behandeln können. In Bregenz habe ich im Herbst 1997 mit meiner Klinik begonnen.

Sind Sie häufig Anfeindungen ausgesetzt?

Ich bekomme natürlich Zuschriften, vor allem religiöser Art. Ich habe auch schon Bedrohungen bekommen, dass ich erschossen werde. Das war aber nur ein einziges Mal, Ermittlungen dazu sind im Sand verlaufen. Verrückte gibt es immer. Auf meiner Webseite habe ich daher nur ein Bild, auf dem man mein Gesicht nicht erkennen kann. Ich muss ja nicht eine Zielscheibe für irgendwelche Killer werden.

Sind Sie mit der Landesregierung nun in Kontakt?

Es laufen Verhandlungen. Ich hatte Kontakt mit Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher und habe ihr auch Dokumente zur Verfügung gestellt. Ursprünglich war erst im Herbst ein Treffen geplant, nach langem Hin und Her wird es nun am 22. August stattfinden. Dann weiß ich mehr, wie weit sich der Staat engagieren will. Er muss eigentlich dafür sorgen, dass ein Gesetz durchführbar ist.

Erwarten Sie sich vom 22.8., dass schon konkrete Lösungen diskutiert werden?

Noch gibt es keine Unterlagen zum Treffen. Ich habe auch keine schriftlichen Angebote, aber das muss auch nicht sein.

In der Regel gehen Ärzte mit 65 Jahren in Pension. Gab es in den Jahren seit Ihrem 65. Geburtstag Gespräche oder finden diese nun mehr oder weniger aufgrund des öffentlichen Drucks statt?

Es war mehr der öffentliche Druck. Vor einigen Jahren sagte ich, dass ich vorerst noch weitermache. Damit war die Sache für alle erledigt. Nun bereitet die Fachgruppe der Gynäkologen eine Sitzung zu meinen Plänen vor, was ganz offensichtlich auf den öffentlichen Druck zurückzuführen ist. Die Fachgruppe weiß schon lange um die Problematik, kam dazu aber nicht auf mich zu. Was übrigens auch ein Problem ist: Meine Arbeit zu übernehmen, ist weder gesellschaftlich noch finanziell attraktiv, vor allem wenn man das allein macht.

Warum machen Sie es dann?

Weil ich davon überzeugt bin, dass die Arbeit wichtig ist. Aber irgendwann ist auch mal Schluss. Wenn ich da nicht mit dem Herzen dabei wäre, hätte ich schon längst aufgegeben.

Die Landesrätin sprach von einem laufenden Austausch mit Ihnen. Seit wann gibt es diesen?

Seit diesem Sommer, also seit rund vier Wochen.

Glauben Sie, dass Sie bis zu Ihrem 71. Geburtstag die Pension antreten werden?

Ich werde es noch maximal ein Jahr machen. Wenn es in diesem Jahr bei diesem massiven öffentlichen Druck nicht mit der Abgabe der Praxis klappt oder einfach mit der Weitertherapie in dem Bereich, werde ich die Praxis als Immobilie verkaufen. Man darf etwas nicht vergessen: Wenn die Landesregierung glaubt, dass es mit Verhütungsmitteln einen guten Brandschutz gibt und es daher keine Feuerwehr braucht, ist das ein Trugschluss. Wir sind die Feuerwehr.

Fristenregelung

Grundsätzlich steht in Österreich auf eine Abtreibung eine Freiheits- oder Geldstrafe, außer der Schwangerschaftsabbruch erfolgt innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft (Fristenregelung). Eine Abtreibung zu einem späteren Zeitpunkt ist nur erlaubt, wenn eine ernste Gefahr für die Schwangere besteht, sie jünger als 14 Jahre ist oder eine schwere geistige oder körperliche Behinderung des Kindes zu erwarten ist. Die Kosten werden von der Sozialversicherung übernommen, wenn der Abbruch aus medizinischen Gründen notwendig ist.

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