Filzmaier: “Das hätte die ÖVP an den Rand der Spaltung geführt”

Der Ex-Kanzler bezeichnete die Vorwürfe als absurd. APA
Die Folgen von Thomas Schmids Aussagen werden für die ÖVP nachhaltig sein, sagen Politologen.
Wien Die Vorwürfe von Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid erschüttern die ÖVP. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt nach eigenen Angaben gegen 45 Beschuldigte, darunter sowohl natürliche Personen, als auch Verbände.
Entscheidung müssen die Gerichte treffen
Im Zentrum steht Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Dieser weist alle Vorwürfe zurück. “Eine Entscheidung darüber, wer die Wahrheit sagt, können nur die Gerichte treffen. Aber es ist wohl klar, dass die ÖVP das Thema nicht so schnell los wird”, sagt Politologe Peter Filzmaier den VN.
Die Liste aller Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ist lang: Verdacht der Untreue, der falschen Beweisaussage, des Missbrauchs der Amtsgewalt, der Bestechlichkeit, der Bestechung und der Verletzung des Amtsgeheimnisses. Seit Juni wurde Schmid insgesamt 15 Mal ganztägig einvernommen. “Aus meiner eigenen Praxis als Untersuchungsrichter und Staatsanwalt kann ich sagen: Das ist sehr viel”, erklärte Franz Fiedler, ehemaliger Rechnungshofpräsident, den VN dazu.

Politologe Peter Filzmaier sieht den größten Schaden beim Ansehen der Politik in der Bevölkerung. Das könnte sich weiter verschlechtern. VN
Alte Krisen kochen wieder hoch
Das kocht nun Belastungsproben für die ÖVP wieder auf: Obwohl auch die Volkspartei Beschuldigte im Korruptionsstrafverfahren ist, sei das durch die Krisenthemen und die vielen Verzweigungen und Verästelungen der staatsanwaltlichen Verfahren in den Hintergrund gerückt, so Filzmaier: “Jetzt hat sich wieder alles auf die Frage zugespitzt, ob Sebastian Kurz Beitragender oder Bestimmungstäter gewesen sein könnte.” Ob Kurz oder Schmid die Unwahrheit sagen, kann zwar kein Außenstehender beurteilen, aber das Thema sei politisch präsent. Es betreffe immerhin den Ex-Kanzler und Ex-Parteichef.

Zwei Lager
Noch im Mai war Kurz prominenter Gast am ÖVP-Parteitag, Handschlag für den frisch gekürten ÖVP-Chef Karl Nehammer inklusive. Nehammer ist zwar persönlich nicht in die Folgen der Chats involviert. “Aber es war Generalsekretär und Innenminister unter Kurz, also schon in maßgeblichen Positionen der Partei”, sagt Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle.
Hätte eine frühere, deutliche Distanzierung vom Ex-Kanzler der ÖVP geholfen? Für Filzmaier ist diese Frage “kein praktikables Gedankenspiel”. Denn, so der Politologe: “Das hätte die ÖVP wohl geradezu an den Rand der Spaltung geführt. Es gibt eine parteiinterne Gruppe, die sich bereits länger von Kurz distanziert, aber auch eine andere Gruppe, die ihm geradezu noch nachtrauert.”
Zustand der Koalition
Das eine sind die Folgen für die ÖVP. Doch auch der Koalitionspartner muss sich nun positionieren. Die Grünen würden die Sphären trennen und sagen, dass es in der Regierung funktioniert, sie aber mit der Partei nichts zu tun haben, schildert Stainer-Hämmerle: “Das stimmt nicht ganz. Denn zumindest als parlamentarische Klubs müssen sie kooperieren.” Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und ÖVP-Klubchef August Wöginger (beide ÖVP) sind von Schmid ebenfalls belastet worden. “Die Achse dieser Koalition ist schon Sigrid Maurer und Wöginger. Hier ist die Frage, wie sehr die persönliche Vertrauensbasis gelitten hat. Aber natürlich auch das Bild nach außen: Wöginger wird verdächtigt, Einfluss genommen zu haben und neben ihm steht die Vertreterin der Anti-Korruptionspartei.”
Die Grünen hätten ihre Entscheidung sogar vor dem Rücktritt von Kurz getroffen, so Filzmaier: Solange es nicht bei aktiven Politikern zu Anklagen kommt, bleiben die Grünen koalitionstreu. “Sie bezahlen damit aber einen Preis.” Es sei aber nur schwer belegbar, was man als kleinerer Koalitionspartner, der Kompromisse machen muss, sowieso an Wählergunst verloren hätte – und was der Chatskandal und die Koalitionstreue der Grünen beigetragen habe. Fest steht, dass sie aktuell klar unter ihrem Wahlergebnis liegen. Der Trend zeigt, dass die ÖVP über ein Drittel ihrer Wählerstimmen verlieren, die Grünen ein Viertel.
Die Grünen betonen immer wieder ihre höheren moralischen Ansprüche. Zuletzt im Wahlkampf mit dem Slogan: “Wen würde des Anstand wählen.” Stainer-Hämmerle betont: “Daran wird man dann auch gemessen. Jetzt hat die ÖVP ein Korruptionsproblem und die Grünen müssen die Rechnung dafür teilweise bezahlen.”
Politikverdrossenheit und politisches Sittengemälde
“Es schadet allen anderen auch: Der Politik und generell dem Ansehen von Parteien. Das ist langfristig das größte Problem”, sagt die Politologin. Vorurteile würden bestätigt: Wie in der Politik miteinander umgegangen wird und welche Dinge im Hintergrund laufen. “Auch wenn das grundsätzlich gar nicht so sehr der Wahrheit entspricht, ist das fatal.”
Die wahre, dramatische Folge ist, dass das als Sittengemälde der Politik gesehen werden kann – und zwar unabhängig von der strafrechtlichen Relevanz, sagt auch Filzmaier: “Das ist ein Flurschaden, der zwar nicht erst jetzt begonnen hat, aber sich verstärkt.” Der Verdacht auf Postenschacher und der Steuererleichterung für reiche Menschen werde in der Bevölkerung wahrgenommen. Die Folgen könnten langfristig sein. Ob eine Verlängerung des Untersuchungsausschusses noch Inhaltliches zu Tage bringen würde, sei fraglich. Aber, so Filzmaier: “Das Problem ist eher die Signalwirkung: Angesicht der massiven neuen Anschuldigungen stellt man den Untersuchungsausschuss ein.”
Nun die Zusammenarbeit zu beenden, wäre jedoch aus der Koalitionslogik heraus “paradox”, meint Stainer-Hämmerle: “Die größte Hürde mit dem Budget wurde gerade genommen. Beide Parteien können sich aktuell nicht verbessern und haben auch kein Interesse zu wählen.”