Es brennt
Rund um das Mittelmeer brennt es. Und Österreich streitet darum, was „normal“ und was das Gegenteil von normal ist. Und diskutiert „ernsthaft“ darüber, ob Jugendliche, die den Verkehr behindern, „Terroristen“ sind. Frauen verdienen in Österreich immer noch deutlich weniger als Männer, sind regelmäßig von häuslicher (männlicher) Gewalt bedroht und in Leitungsfunktionen nach wie vor nur selten anzutreffen.
„Mein Menschenverstand sagt mir, dass es gesund wäre, sich mit den eigentlichen Problemen zu beschäftigen“
Aber in Österreich streitet man sich darum, ob man das Gendern oder das Nicht-Gendern verbietet. Die Wirtschaft stöhnt unter Fachkräftemangel. Aber das Land streitet darüber, ob Mauern oder Zäune oder Lager in der Wüste den besten Schutz vor Arbeitswilligen aus dem Süden bieten. Menschen, die nicht ganz so „weiß“ sind, sind täglichem Rassismus ausgesetzt, auch von Regierungsmitgliedern. Aber man streitet sich darum, wer wen am wirkungsvollsten canceln soll. Und man wundert sich darüber, dass Österreich als unfreundlichstes Land im internationalen Ranking zu zweifelhaftem Ruhm gekommen ist.
Mein Menschenverstand sagt mir, dass es gesund wäre, sich mit den eigentlichen Problemen zu beschäftigen. Dann würde man sich freilich nicht mehr darum streiten, wie man die Gesellschaft am besten so spalten kann, dass man eine Mehrheit anführt. Eine Mehrheit, die sich so „normal“ findet, dass man auf alle anderen herabblicken kann. Ausgrenzung, Gewalt, Krieg und Raub war schon immer ein „normales“ Mittel, um dem eigenen Mangel auf Kosten anderer abzuhelfen. Meistens allerdings ging das schief. Und das sehr radikal.
Stattdessen darüber zu streiten, wie man möglichst effizient Energie spart und möglichst rasch von fossilen Brennstoffen wegkommt, ist mühsamer. Aber vielleicht würden die „Klimakleber“ sich daran dann auch lieber beteiligen, als mit ihren Verzweiflungsaktionen die Autofahrer zu nerven. Die sich ja gegenseitig ohnehin schon genug nerven, weil es auch ohne Klimakleber jeden Tag Stau gibt.
Man könnte sich auch darüber streiten, wie man Österreich möglichst attraktiv für Migranten machen könnte, die das Land so dringend benötigt. Und man könnte sich darüber streiten, was es dafür braucht, dass Frauen in dieser Gesellschaft gleiche Chancen haben, statt einen Religionskrieg über das Gendern zu führen. Der geht nämlich wie alle Religionskriege nicht gut aus. Weder für die Verlierer*:_Innen noch für die Gewinner.
Hanno Loewy ist Direktor des Jüdischen Museums in Hohenems.
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