Steuern und Beiträge reichen nicht

Umverteilungsstudie: Alle zahlen ein, die meisten bekommen jedoch mehr ausbezahlt.
SCHWARZACH Alle zahlen ein, rund 80 Prozent bekommen jedoch mehr zurück. Das ist das Ergebnis einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) zu staatlicher Umverteilung in Österreich. Beim „untersten Zehntel“ der Haushalte zum Beispiel, bei dem das durchschnittliche Brutto-Pro-Kopf-Einkommen monatlich knapp 500 Euro beträgt, werden – ebenfalls pro Kopf – 196 Euro an Steuern und Beiträgen bezahlt. Dabei handelt es sich unter anderem um indirekte Steuern wie die Umsatzsteuer. Zurück kommen in Form von Geld- und Sachleistungen, wie Förderungen und Pensionen sowie Bildungsangebote und Gesundheitsversorgung, jedoch 1590 Euro. Das ist viel mehr. Umgekehrt ist es nur bei den obersten zwei Zehntel, also 20 Prozent. Sie sind, nicht zuletzt aufgrund einer beträchtlichen Einkommensteuer, quasi Nettozahler. Beim obersten Zehntel der Haushalte werden 3467 Euro einbezahlt, kommen aber „nur“ 1622 Euro retour. Zu beachten ist, dass das Durchschnittswerte sind. Das bedeutet, dass jeder Einzelfall davon abweicht.
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Unterm Strich seien die Auszahlungen aber viel größer, analysiert der Sozialexperte Bernd Marin. Das könne niemanden überraschen: „Wir sind ein Sozialzahlstaat.“ Vor allem dem Pensionssystem kommt dabei eine große Bedeutung zu. Beiträge allein reichen hier bei Weitem nicht aus. „Niemand finanziert sich die eigene Pension voll oder auch nur annähernd selbst“, so Marin. Es gilt daher das Umlageprinzip, wonach jeweils Erwerbstätige für die Pensionen aufkommen. Doch auch das reicht bei Weitem nicht aus. Aus dem Bundesbudget müssen heuer allein fast 14 Milliarden Euro an die Pensionsversicherung überwiesen werden.
Scharfzüngige Kritik
Für den 75-jährigen Sozialforscher ist es bemerkenswert, dass derlei keine breitere Öffentlichkeit alarmiert. Er erklärt sich das damit, dass Österreich als braver Schuldner immer Geldgeber sowie leichtfertig Regierende immer genug gutgläubige Menschen finden würden, „die sich beschwichtigen lassen“. Nachsatz: „Unruhestifter bleiben wohlgenährt im akademischen Elfenbeinturm weggesperrt.“

Holger Bonin, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), hat vorgeschlagen, das Pensionsantrittsalter auf 67 anzuheben. „Er hat recht“, sagt Marin. Seines Erachtens würde eine Anhebung um zwei Monate pro Jahr bis 2035 vorerst reichen. „Wer dagegen mobilisiert, stiehlt bloß politisches Kleingeld“, übt Marin Kritik an der SPÖ von Andreas Babler, die gerade eine Petition dagegen laufen hat: „Statt positiver Projekte, wie 4-Tage-Woche, leistbares Wohnen oder innerparteiliche Mitbestimmung, betreibt sie defensive Abwehrschlachten für Uralt-Retro-Rentenpolitik.“ Nachsatz: „Seit 1999 macht sie das wiederholt erfolglos.“
Pensionsexperte ging aus „Frust“ und nichts änderte sich
Bezeichnend ist in den Augen Marins auch, dass sich Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) sowie Bundeskanzler Karl Nehammer und Finanzminister Magnus Brunner (beide ÖVP) seit bald zwei Jahren auf keinen Vorsitzenden für die Penionssicherungskommission verständigen. Walter Pöltner, der letzte Vorsitzende, verkündete im September 2021 seinen Rücktritt. Und zwar ausdrücklich aus „Frust“ darüber, dass die Politik das Thema Pensionen, aber auch Pflege „nicht ernst genug nimmt“. Das sei „auch noch folgenlos“ geblieben, so Marin: „Anderswo hätte das ein mittelschweres politisches Beben, eine Regierungskrise oder Ministerrücktritte bewirkt. Bei uns komplizenhaftes Wegschauen, Totschweigen.“