Der Jahrhundertdiplomat

Politik / 30.11.2023 • 22:44 Uhr
Kissinger im Jahr 1980. Er war lange als Berater tätig. AFP
Kissinger im Jahr 1980. Er war lange als Berater tätig. AFP

Der einflussreiche US-Außenpolitiker Henry Kissinger starb im Alter von 100 Jahren.

Washington Bis zum bitteren Ende der Präsidentschaft von Richard Nixon war Henry Kissinger einer der wenigen, denen der angeschlagene Politiker vertraute. Eine Szene aus den letzten Stunden Nixons im Amt ist beinahe zu bizarr, um sie zu glauben: Ein in Tränen aufgelöster Präsident und sein erstaunter Berater, die in einem Schlafzimmer des Weißen Hauses auf dem Boden knien und beten – obwohl sie beide nicht besonders religiös waren.

Kissinger wurde zu einem wichtigen politischen Akteur in einer von Spannungen geprägten Zeit in der Geschichte der USA. Er galt als Größe der US-Außenpolitik. Der gebürtige Deutsche starb am Mittwoch in seinem Haus im US-Staat Connecticut. Er wurde 100 Jahre alt.

Der aus einer jüdischen Familie stammende Kissinger floh als Teenager mit seiner Familie aus Nazi-Deutschland. Er wurde ein respektierter Staatsmann, der Reden hielt, sowohl republikanischen als auch demokratischen Präsidenten seinen Rat anbot und Manager eines Beratungsunternehmens wurde.

Unter den republikanischen Präsidenten Nixon und Gerald Ford hatte Kissinger einen beispiellosen Einfluss auf globale Angelegenheiten. Seine Macht nahm während der Watergate-Affäre zu. Er wurde fast zu einer Art Co-Präsident neben dem diskreditierten Nixon. Das Verhältnis zu Nixon war ambivalent. Kissinger soll zu Kollegen im Weißen Haus gesagt haben, dass er “diesen betrunkenen Verrückten” Nixon daran gehindert habe, Dinge zu tun, die “die Welt in die Luft sprengen” würden.

Umstrittener Preisträger

1973 bekam Kissinger gemeinsam mit dem Chefunterhändler von Nordvietnam, Le Duc Tho, den Friedensnobelpreis für die Vereinbarung, unter der sich die USA aus Südvietnam zurückzogen. Kissinger leitete die Pariser Verhandlungen ein, nach denen der Rückzug erfolgte. Zwei Jahre später fiel das vietnamesische Saigon an die Kommunisten. Einige frühere US-Verbündete machten dafür Nixon, Kissinger und den US-Kongress verantwortlich. Sie warfen ihnen vor, sie ihm Stich gelassen zu haben.

Im Laufe von acht Jahren war Kissinger Nationaler Sicherheitsberater, später Außenminister und zeitweise beides gleichzeitig. 1971 täuschte Kissinger während eines Besuchs in Pakistan eine Erkrankung vor und machte eine heimliche Reise nach China. Damit ermöglichte er 1972 einen historischen Besuch Nixons in China.

Nach seinem Ausscheiden aus der Regierung forderten Kritiker, dass Kissinger wegen seiner Politik zu Südostasien und Unterstützung für repressive Regierungen in Lateinamerika zur Verantwortung gezogen werde. Viele Amerikaner ärgerten sich über Kissinger wegen dessen Kriegsdiplomatie.

Einer der seltsamsten Momente im Leben von Kissinger ereignete sich im August 1974, bevor Nixon auf die Präsidentschaft verzichtete. Nixon bestellte Kissinger ins Weiße Haus, wo sie 90 Minuten gemeinsam verbrachten. Als Kissinger aufbrechen wollte, steuerte Nixon ihn in das Lincoln-Schlafzimmer und schlug vor, dass sie sich gemeinsam hinknien und beten. Nixon weinte, weil er sein politisches Schicksal als unfair betrachtete. Bei der Rückkehr in sein Büro sagte Kissinger: “Er ist wahrlich eine tragische Figur.”

Kissinger besuchte im Jahr 2017 auch den damaligen Präsidenten Donald Trump im Weißen Haus. AFP
Kissinger besuchte im Jahr 2017 auch den damaligen Präsidenten Donald Trump im Weißen Haus. AFP
Henry Kissinger (r.) mit dem ehemaligen Generalsekretär der kommunistischen Partei der Sowjetunion, Leonid Breschnew, im Jahr 1974.
Henry Kissinger (r.) mit dem ehemaligen Generalsekretär der kommunistischen Partei der Sowjetunion, Leonid Breschnew, im Jahr 1974.
Henry Kissinger galt als erfolgreicher Diplomat, löste später aber auch Proteste aus. AP
Henry Kissinger galt als erfolgreicher Diplomat, löste später aber auch Proteste aus. AP

Zur Person

Henry Kissinger

geboren am 27. Mai 1923 in Fürth in Mittelfranken, gestorben am 29. November 2023 in Kent.

Er war Politikwissenschaftler und Politiker, der die Außenpolitik der Vereinigten Staaten als Nationaler Sicherheitsberater und Außenminister unter den Präsidenten Nixon und Ford von 1969 bis 1977 maßgeblich mitbestimmte.