Kathrin Stainer-Hämmerle

Kommentar

Kathrin Stainer-Hämmerle

Europas Zukunft

Politik / 03.01.2024 • 06:30 Uhr

Die stillen Tage rund um den Jahreswechsel eignen sich bestens für neue Pläne und etwas Selbstreflexion. Was lief gut, was ginge besser und wo liegen die Herausforderungen im neuen Jahr? Fragt man die Bevölkerung, fällt ihnen in Bezug auf Politik zu Punkt 1 wohl wenig ein, dafür Zahlreiches zu verbessern. Doch Fremdanalyse ist immer leichter und meist wenig hilfreich. Da Politikerinnen und Politiker jedoch auch in unserem Namen handeln, müssen sie sich Ratschläge nicht nur gefallen lassen, sondern sollten sich diese auch zu Herzen nehmen. Vor allem wenn ein Superwahljahr ansteht und die Bevölkerung des oberflächlichen politischen Hauens und Stechens schon mehr als müde ist.
Die wichtigste Wahl 2024 ist nicht die Landtags- oder Nationalratswahl, obwohl die dafür aufgewendeten Ressourcen dies suggerieren. Zentral für unser Leben sind die Weichenstellungen in der EU. Nur auf supranationaler Ebene können Lösungen bei Themen wie Migration, Klima oder Sicherheit erarbeitet werden. Kurz gesagt: In der EU entscheiden wir über unsere Zukunft.
Daher erschrickt das besonders geringe Interesse der Bevölkerung und inbesondere der Regierungsparteien an dieser Wahl am 9. Juni. Die ÖVP hat EU-Urgestein und Spitzenrepräsentant Otmar Karas vergrault und steht immer noch ohne Kandidaten da. Lukas Mandl will zwar in Brüssel bleiben, aber nicht die Verantwortung für die erwartete Wahlschlappe kassieren. Karoline Edtstadler, die sonst immer betont, wie sehr ihr Herz für Europa schlägt, hat abgewunken. Sie will sich – ähnlich wie Leonore Gewessler – nicht ihre Chancen auf einen Posten in der Kommission wegen eines schlechten Wahlergebnisses nehmen lassen. Im Jänner sollte die ÖVP bei der Suche nach einem weltgewandten parteitreuen Kandidaten ohne weitere Ambitionen fündig werden. Auf ihn (oder sie) wartet die undankbare Aufgabe, die Wandlung der ÖVP vom EU-Paulus zum Saulus halbwegs schlüssig zu verkaufen.

„Im Jänner sollte die ÖVP bei der Suche nach einem weltgewandten parteitreuen Kandidaten ohne weitere Ambitionen fündig werden.“

Etwas weniger spektakulär, aber ebenso erfolglos, suchen die Grünen nach einem Plan B nach der Absage von ihrer Klimaministerin. Auch bei den Grünen drängt niemand nach Europa. In der SPÖ hat wiederholt das Gerangel der Bundesländer für meiste Aufmerksamkeit gesorgt. Am Ende war Hans-Peter Doskozil mit seinen Burgenländern beleidigt. Für den ehemaligen Verteidigungsminister Norbert Darabos muss ein anderer Versorgungsposten gesucht werden. Andreas Schieder darf sich trotz historisch schlechtestem Ergebnis vor fünf Jahren weiter in Brüssel über die Zurückreihung als Wiener Bürgermeister trösten. Bemerkenswert, dass in der SPÖ offensichtlich nicht aufgrund der Qualifikation von Personen entschieden wird, sondern anhand einer starren Quotenlogik der Landesparteien.

Die Neos hingegen nutzen den Jänner zumindest für ein öffentliches Kandidatencasting mit der Gelegenheit, als wohl einzige Partei sich als EU-Fans zu outen. Und die FPÖ? Sie hält an Harald Vilimsky trotz mutmaßlicher Verwicklung in eine Spesenaffäre fest. Ist ohnehin egal. Bei der Wahl werden sie so oder so gewinnen. Wen interessiert schon die EU oder unsere Zukunft?

FH-Prof. Kathrin Stainer-Hämmerle, eine gebürtige Lustenauerin, lehrt Politikwissenschaften an der FH Kärnten.