Wo ist die Schönheit, die uns retten wird?

Leid, Schmerz und Not, wohin man in der Welt blickt. Vergangenen Sonntag kentert wieder einmal ein Flüchtlingsboot in der Ägäis, von den 20 Menschen an Bord werden mindestens vier vermisst. Für den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist kein Ende in Sicht und nach bald zwei Jahren Kampf nimmt die Erschöpfung der ukrainischen Soldaten an der Front mit jeder Woche zu. Der vom Terrorangriff der Hamas auf Israel ausgelöste Krieg in Gaza kostet täglich auch zivile Opfer, während nach israelischen Angaben nach wie vor 136 Geiseln in der Gewalt der Hamas sind.
Für die zunehmenden Konflikte und Krisen gibt es keine einfachen politischen Antworten mehr. Dafür ist die Beschleunigung der Welt zu groß, die Probleme sind zu vielschichtig. Deshalb kann man den Blick vielleicht einmal auf eine ganz andere Idee richten, die helfen kann, die harte Realität zu bewältigen. Auf die Idee der Schönheit. „Die Schönheit wird die Welt retten“, diesen nur im ersten Moment provokanten Satz schrieb Fjodor Michailowitsch Dostojewski in seinem großen Werk „Der Idiot“. Schönheit war für den russischen Schriftsteller, dessen Leben und Arbeit nicht von oberflächlichen Schönheitsbegriffen geprägt war, ein zentraler Wert. Er reiste jedes Jahr nach Dresden, um dort Raffaels berückend schöne Sixtinische Madonna zu betrachten – als eine Art therapeutischer Akt, um nicht an den Problemen und Nöten, die er sah, zu verzweifeln.
Das Gute, Wahre, Schöne
Schönheit ist seit der griechischen Antike weitaus mehr als Ästhetik, ihr wohnt auch eine ethische und spirituelle Dimension inne. Platon etwa definiert sie in einem weiten Sinn, von der Schönheit einer Frau bis zu jener der Gerechtigkeit. Damit ist er ein Vertreter der Denkweise seiner Zeit, in der das Gute, Wahre und Schöne als gleichrangige Werte galten. Bilder, die mit der Schönheitsindustrie und den Körperidealen irgendwelcher Social-Media-Influencerinnen des 21. Jahrhunderts nichts zu tun haben. Auch die Theologie hat sich immer wieder mit dem Wesen des Schönen beschäftigt, in unserer Zeit zum Beispiel der Mönch und Autor Anselm Grün in einem seiner Bücher – weil die Schönheit dem Menschen gut tue. Ob man sie in der Natur, in der Kunst, in der Musik oder in einem Gespräch findet. Momente der Schönheit können überall sein und die Menschen dabei unterstützen, ihr Leben zu bewältigen.
„Momente der Schönheit können überall sein und die Menschen dabei unterstützen, ihr Leben zu bewältigen.“
Anselm Grün hat seinen Blick auf die Schönheit einmal in einem Interview so erklärt: „Nicht jeder Mensch ist schön. Schön kommt von Schauen. Wer sich liebevoll anschaut, der ist schön. Wer den anderen liebevoll anschaut, macht ihn schön.“ Eine Vorstellung, die vielleicht auch in dunklen Zeiten weiterhelfen kann.
Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und arbeitet für den ORF-Report.