Das Kreuz mit dem Kreuz
In Vorarlberg haben sich ungefähr 50 Prozent der Wahlberechtigten an der Europawahl beteiligt. Das ist weniger als der Bundesdurchschnitt von 56 Prozent und bewegt sich aber insgesamt im europäischen Mittelfeld.
So mancher politische Kommentator beklagt die niedrige Wahlbeteiligung. Wie der Pfarrer in der Kirche: Auch er muss zur Kenntnis nehmen, dass das, was er predigt, von immer weniger Leuten gehört wird. Beide, der Kommentator wie der Pfarrer, hadern auf ihre Weise mit der vermeintlich schwindenden Anziehungskraft des Kreuzes.
„Ein interessanter Ansatz wäre, die Summe der gesamten Parteienförderung von der Wahlbeteiligung abhängig zu machen.“
Es gehört zum guten Recht eines jeden Bürgers, sich für das, was sich Politik nennt, nicht zu interessieren oder mit dem Speiseplan so unzufrieden zu sein, dass er sich für keines der angebotenen Menüs entscheiden will. Eine Gesellschaft, die immer wieder Vielfalt predigt und Toleranz auch für zuweilen befremdliche Verhaltensweisen einfordert, sollte nicht Menschen deshalb schmähen, weil sie sich mal nicht an einer Wahl beteiligen. So ist das eben in einer freien Gesellschaft.
Früher war nicht alles besser: Schon in der Monarchie war die Teilnahme an Wahlen in Vorarlberg – bei jenen, die überhaupt wählen durften, also den Männern – so lächerlich niedrig, dass der Landtag die Wahlpflicht beschloss. An dieser hielten die tonangebenden Christlichsozialen auch in der Republik fest – gegen den wütenden Protest der Sozialdemokraten. Letztere wussten, dass die Frauen, die nunmehr das Wahlrecht erlangt hatten und damals politisch eher desinteressiert waren, alles andere als rot wählen würden.
So verfolgte eben jede Partei ihre eigenen Interessen – bis heute, denn ihre Wahlaufrufe richten sich zwar zum Schein an alle Wahlberechtigten, gelten aber regelmäßig der eigenen Klientel, während die Anhänger anderer Parteien besser zu Hause bleiben sollen. Ein interessanter Ansatz wäre, die Summe der gesamten Parteienförderung von der Wahlbeteiligung abhängig zu machen. Vielleicht würde sich die Politik dann sogar gemeinsam etwas einfallen lassen, um das Kreuz attraktiver zu machen.
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