Renaturierungsgesetz wird zur Zerreißprobe für die Koalition

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler hat angekündigt, dem Renaturierungsgesetz im Rat der Europäischen Union zustimmen zu wollen. Die Volkspartei ist empört und droht mit Konsequenzen.
Von Maximilian Werner und Michael Prock
Wien, Brüssel Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) will am Montag dem Renaturierungsgesetz zustimmen, so es denn im Rat der Europäischen Union zu einer Abstimmung kommt. Damit stellt sie sich gegen ihren Koalitionspartner, der das Gesetz inhaltlich ablehnt. Außerdem ist die ÖVP der Überzeugung, dass Gewessler aus rechtlichen Gründen gar nicht zustimmen darf – die ablehnende Stellungnahme der Bundesländer sei weiter bindend, auch wenn zuletzt die Wiener Landesregierung beschloss, das Paket zu unterstützen.

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler kündigte aus diesem Grund „rechtliche Konsequenzen“ gegenüber Gewessler an: „Wenn sie so abstimmt wie angekündigt, begeht sie vorsätzlich einen Verfassungs- und Gesetzesbruch. Das ist in höchstem Maße unverantwortlich und befremdlich, ist sie doch wie alle übrigen Regierungsmitglieder vom Bundespräsidenten auf die Verfassung angelobt“, sagt das ÖVP-Regierungsmitglied. Die Ideologie dürfe nicht über dem Recht stehen. In ihrer Pressekonferenz sagte Gewessler: „Jetzt zu zögern, geht sich mit meinem Gewissen nicht aus.“ Sie habe sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht, wolle aber ein Signal der Entschlossenheit und des Mutes setzen.

Für Vorarlbergs Landeshauptmann und ÖVP-Landesparteichef Markus Wallner ist die Sache klar: “Wenn die Ministerin zustimmt, ist das ein Koalitionsbruch und ein klarer Vertrauensbruch gegenüber den Ländern. Ich bin schwer irritiert.” Schließlich habe die einheitliche Länderstellungnahme gegen die Verordnung weiterhin Bestand. “Sie kann nur einheitlich abgeändert werden und das ist bisher nicht geschehen.” Nun müsse die ÖVP auf Bundesebene beraten, wie es weitergeht. “Momentan kann nicht abgeschätzt werden, wie es weitergeht. Alleine das ist ein großes Risiko, das die Ministerin damit eingeht.” Er warnt vor einem koalitionsfreien Raum. “Ich kann mich noch daran erinnern, als in einer wildgewordenen Sondersitzung des Nationalrats milliardenschwere Wahlzuckerl verteilt wurden. Aus Ländersicht halte ich das für fahrlässig. Da wurde auch der Pflegeregress abgeschafft, zum Beispiel.” Und Gewessler gehe nun dieses Risiko ein. “Wenn sie jetzt Koalitionsbruch begeht, ist die Gefahr groß. Wir brauchen kein Chaos auf Bundesebene. Die Ministerin hat abgesehen von inhaltlichen Differenzen auch eine Gesamtverantwortung.”

Wallners Koalitionspartner, der Grüne Landesparteichef und Landesrat Daniel Zadra sagt, dass die Bahn frei sei: “Es gibt mehrere Juristen, die sagen, dass die Ministerin zustimmen kann.” Einen Koalitionsbruch ortet er nicht: “Viel wichtiger ist, dass die Wählerin und der Wähler weiß, wofür die Regierung steht. Darum ist es ein richtiger Zug gewesen, dass die Ministerin ihr Abstimmungsverhalten in so einer entscheidenden Frage klar und transparent gemacht hat.” Dass die ÖVP argumentiert, Gewessler müsste sich zudem mit Landwirtschaftsminister Totschnig absprechen, da sich die Materie auch mit seinem Zuständigkeitsbereich beschäftigt, lässt Zadra nicht gelten. Umgekehrt habe sich Totschnig auch keine Erlaubnis bei Gewessler abgeholt, als er für die Senkung von Umweltstandards gestimmt habe.
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In ihrer Entscheidung stützt sich Gewessler auf die Einschätzung mehrerer Juristen, wonach ihre Vorgangsweise von der Verfassung gedeckt sei. Verfassungsjurist Peter Bußjäger bleibt im VN-Gespräch dennoch dabei: Für ihn ist die Vorgangsweise Gewesslers verfassungswidrig. Zwar könne darüber schlussendlich nur der Verfassungsgerichtshof entscheiden, aber: “Nach dem, was wir derzeit wissen, liegt nach wie vor eine einheitliche Stellungnahme der Länder vor, an die Gewessler meines Erachtens weiterhin gebunden ist.” Außerdem stehe im Raum, dass Gewessler ihr Abstimmungsverhalten mit Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) absprechen müsste.
Die von Edtstadler ankündigten, rechtlichen Konsequenzen könnten im Nationalrat zu sehen sein, sagt Bußjäger. “Der Nationalrat könnte sie mit einem Misstrauensvotum des Amtes entheben oder sie staatsrechtlich am Verfassungsgerichtshof anklagen.”

Für beides ist eine Mehrheit notwendig, für Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle ist das kein realistisches Szenario: “Mit wem soll die ÖVP eine Mehrheit im Nationalrat für die Anklage bilden? Mit der FPÖ? Das wäre mehr Wahlkampfstoff als eine Anklage, über die wohl nicht vor dem Wahltag beraten würde”, sagt sie den VN. Also kommt sie zum Schluss: “Die Koalition ist ohnehin am Ende, die Parteien im Wahlkampf und der Wahltag angesetzt. Die ÖVP kann die Zustimmung Gewesslers nur im Wahlkampf verwenden. Sonst hat sie keine Handhabe.” Mit welchen rechtlichen Konsequenzen Edtstadler droht, sei unklar. Klar ist laut Stainer-Hämmerle aber: “Als Vertreterin Österreichs im Rat ist Gewessler jedenfalls im Vorteil, auf das Koalitionsklima muss sie keine Rücksicht mehr nehmen.”

Dass das Koalitionsklima angespannt ist, wird auch im ÖVP-Parlamentsklub deutlich. Nationalratsabgeordneter Norbert Sieber aus Bregenz sagt den VN: “Es gibt Gesetze und eine Verfassung, an die man sich zu halten hat. Wenn es eine Ministerin der Grünen für richtig erachtet, sich darüber hinwegzusetzen, fehlen einem die Worte. Dann hat sie meinen Respekt verloren.” Über mögliche Konsequenzen müsse man innerparteilich beraten.