Carola Schneider: “Die Geheimdienste besuchen unsere Gesprächspartner”

Politik / 24.06.2024 • 15:29 Uhr
Carola Schneider
Carola Schneider berichtet mit Unterbrechungen seit 2011 für den ORF aus Moskau. Privat

Die Vorarlberger ORF-Journalistin berichtet über ihre Arbeit unter der russischen Zensur und die aktuelle Stimmung in Russland.

Wien Es benötigt ein paar Versuche, bis das Telefonat mit Carola Schneider zu Stand kommt. Seit vielen Jahren berichtet die Bludenzerin für den ORF aus Russland, seit Oktober 2023 ist sie wieder Leiterin des Moskauer Büros. An diesem Tag scheint das Handynetz gestört zu sein. Die Redaktion liegt nahe dem Innenministerium. “Wenn höherrangiger Besuch angesagt ist, werden auch schon einmal Störsender eingesetzt”, berichtet sie.

ORF-Kollegin ausgewiesen

Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine arbeiten die Korrespondentinnen und Korrespondenten unter erschwerten Bedingungen. Die Situation verschärft sich nun, da ORF-Journalistin Maria Knips-Witting die Akkreditierung entzogen wurde. Direkt zur Causa kann sich Schneider nicht äußern, weil die Kommunikation diesbezüglich ausschließlich über die ORF-Zentrale in Wien läuft. Nur so viel: “Meine Kollegin hat sich nichts zuschulden kommen lassen.”

Es handelt sich um eine Reaktion auf den Entzug der Akkreditierung des russischen TASS-Korrespondenten Iwan Popow in Österreich, teilte das Moskauer Außenministerium mit. Im Gegenzug müsse eine österreichische Korrespondentin das Land verlassen. Knips-Witting hatte seit Jänner aus Moskau berichtet. In Folge protestierten der ORF-Redaktionsrat in einem offenen Brief an die russische Botschaft über den “direkten Angriff auf die Medienfreiheit”. Auch das Außenministerium bezeichnete die Entscheidung der russischen Behörden als ungerechtfertigt.

Schneider ist jetzt allein für den ORF in Russland. Eigentlich wollte sich die Journalistin nach jahrzehntelangem Fokus auf News-Berichterstattung auf Dokumentationen konzentrieren. Dann kam der russische Angriffskrieg in der Ukraine. “Der Traum vom freischaffenden Dokumentarjournalismus geht in Kriegszeiten sowieso nicht”, berichtet die Vorarlbergerin. Seit dem Krieg ist es aber schwierig neue Akkreditierungen zu bekommen, zum Teil gibt es Wartezeiten von bis zu zwei Jahren.

Carola Schneider
Nach ihrer Bildungskarenz übernahm Carola Schneider im Oktober 2023 wieder das Moskau-Büro des ORF.

Berichten trotz Zensur

Das größte Hindernis für freie Berichterstattung ist die Militärzensur, die direkt nach dem Einmarsch in die Ukraine eingeführt wurde. Diese betreffe aber nicht alle Themen, sagt Schneider, “sonst könnten wir nach Hause gehen”. Die Gesetze betreffen die russische Armee und damit alles, was in der Ukraine passiert. Es drohen bis zu 15 Jahre Haft für sogenannte „Fake News“, wenn in einer dem Kreml nicht genehmen Weise über den Krieg berichtet wird. Über das Kriegsgeschehen berichten daher die Kollegen in der Ukraine bzw. die Zentralredaktion in Wien. “Das ist ein schlimmer Kompromiss für jemanden, der Pressefreiheit hochhält”, sagt Schneider. Aber der Kompromiss sei noch tragbar, da ist noch andere Themen gibt, die berichtet werden können.

Aber es werde generell schwieriger. Es gebe immer mehr Menschen, die Angst hätten, mit Medien zu sprechen, vorrangig mit westlichen. “Zu unseren Gesprächspartnern kommen zum Teil die Geheimdienste nach Hause”, sagt Carola Schneider. Das passierte etwa nach den Berichten rund um das zweijährige Jahrestag des Einmarsches in die Ukraine. Der ORF sprach mit Verwandten von Soldaten, die kämpfen, gekämpft haben oder gestorben sind. “Ich drehe daher immer dreimal die Frage um, ob ich meine Gesprächspartner und auch Mitarbeiter gefährde, die alle Russen sind.”

Carola Schneider
Eigentlich wollte sich Carola Schneider nach ihrer Bildungskarenz auf Dokumentarfilme konzentrieren, doch dann kam der Krieg. privat

Wenige ausländische Journalisten übrig

Auch unter diesen Umständen und mit der Zensur ist es wichtig, hier zu sein. Es sind nur noch wenige Journalisten aus dem Ausland übrig, berichtet Schneider: “Wenn alle nur noch aus Europa und den USA berichten, wie es hier ist, ist das kein unmittelbarer Journalismus mehr.” Es gehe darum, direkt mit den Menschen im Land sprechen zu können. Zum Beispiel mit jenen, die es wagen, noch etwas Widerstand zu leisten, aber auch jenen, die nach wie vor hinter Putin stehen. “Das geht nicht, wenn man nicht hier ist.”

Und es sei wichtig, selbst zu spüren, wie die Stimmung in der Gesellschaft ist. “Viele sind schon kriegsmüde. Sowohl diejenigen, die gegen den Krieg sind, als auch jene, die Putin unterstützen.”

Noch immer Unterstützung von Putin

Bei vielen Russen verfängt die Kremlpropaganda, wonach Russland sich in einem Verteidigungskampf gegen den feindlichen Westen befinde und nur Putin das Land schützen könne. Manche profitieren aber auch vom Krieg. Vertragssoldaten bekommen zum Teil astronomisch hohe Gehälter, auch die Hinterbliebenenpensionen sind hoch. Noch eine andere Dynamik führt bei manchen zu mehr Wohlstand, wie die ORF-Journalistin berichtet: Viele Russen kämpfen an der Front, laut Schätzungen sind auch eine Million Menschen ausgewandert wegen des Kriegs. Diese Menschen sind weg vom Arbeitsmarkt. In vielen Branchen fehlen Arbeitskräfte und die Gehälter steigen. Zudem schüttet der russische Präsident viel Geld aus, etwa an Pensionisten und Staatsangestellte, damit “ja keine Unzufriedenheit aufkommt”. Die Wirtschaft ist zudem trotz der internationalen Sanktionen nicht zusammengebrochen. All das führe unter anderem dazu, dass die Unterstützung für Putin trotz der Kriegsmüdigkeit noch immer hoch ist.